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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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besten selbst.»
    «Sie werden auf weitere Späher gefasst sein und aufpassen», sagte ich, weil ich nicht wollte, dass Ragnar ohne Kopf vor dem Wall endete.
    «Ein Anführer fuhrt», entgegnete er. «Du kannst einem anderen Mann nicht abverlangen, wozu du selbst nicht bereit bist.»
    «Lasst mich gehen.»
    Er lachte. «Was wäre das für ein Anführer, der einen Jungen tun ließe, was Männersache ist.»
    «Ich bin Engländer», sagte ich. «Einen englischen Jungen werden sie nicht verdächtigen.»
    Ragnar lächelte. «Wenn dem so ist, wie sollten wir dir trauen und glauben können, dass wahr ist, was du uns berichtest?»
    Ich umklammerte Thors Hammer. «Ich werde die Wahrheit sagen», gelobte ich. «Das schwöre ich. Ich bin jetzt ein Däne. Ihr habt es gesagt. Ihr sagtet, ich sei ein Däne.»
    Langsam nahm Ragnar mich ernst. Er bückte sich, um mir ins Gesicht zu schauen. «Bist du wirklich ein Däne?», fragte er.
    «Ich bin ein Däne», antwortete ich, und in diesem Moment meinte ich es auch. Manchmal aber hielt ich mich für einen Northumbrier oder für einen unerkannten Sceadugengan, der sich bei den Dänen versteckte, und in Wahrheit fühlte ich mich ziemlich verwirrt. Ich liebte Ragnar wie einen Vater, verehrte Ravn, spielte mit Rorik und lief mit ihm um die Wette, wenn es seine Gesundheit erlaubte, und alle behandelten mich als einen der ihren. Ich kam einfach nur von einem anderen Volksstamm. Die Nordmänner ließen sich in drei Hauptstämme teilen - Dänen, Norweger und Svear -, doch es gab, wie Ragnar sagte, noch weitere Stämme, zum Beispiel die Goten. Er war nicht sicher, wer alles zu den Nordmännern gehörte, hatte bei mir aber plötzlich Bedenken. «Ich bin ein Däne», wiederholte ich mit Nachdruck, «und wer wäre als Kundschafter besser geeignet als ich? Ich spreche ihre Sprache.»
    «Du bist noch ein Junge», entgegnete Ragnar, und ich dachte, das Thema sei damit für ihn abgeschlossen. Stattdessen aber gewöhnte er sich an den Gedanken und sagte: «Du hast Recht. Einen Jungen werden sie nicht verdächtigen.» Er sah mich unverwandt an, richtete sich dann wieder auf und blickte zu den beiden Toten, an deren verletzten Köpfen die Raben pickten. «Bist du wirklich sicher, Uhtred?»
    «Ich bin sicher.»
    «Ich rede mit den Brüdern», sagte er.
    Ivar und Ubba waren einverstanden, und als die Dunkelheit hereinbrach, wurde mir das Tor geöffnet. Endlich, so dachte ich, bin ich ein Schattenwandler. Übernatürliche Fähigkeiten hatte ich allerdings nicht nötig, um meinen Weg zu finden. Den wiesen mir die vielen Lagerfeuer der Mercier und Westsachsen. Ragnar hatte mir geraten, einen großen Bogen um das Lager zu schlagen, doch ich ging geradewegs auf das nächste Feuer hinter den gefällten Bäumen zu, die den Engländern als Schutzwall dienten. Hinter dem schwarzen Geäst zeichneten sich vor flackerndem Feuerschein die Umrisse von Wachposten ab. Ich wurde nervös. Seit Monaten lockte mich die Vorstellung, mich in einen Sceadugengan zu verwandeln, und nun stand ich hier, allein im Dunkeln, nicht weit von den geköpften Leichen meiner Vorgänger, und meine Phantasie lieferte mich schon einem ähnlichen Schicksal aus. Doch warum? Ein kleiner Teil von mir wusste, dass ich nur in das Lager gehen musste, meinen Namen sagen und verlangen, dass man mich zu Burghred oder A Ethelred führte. Aber ich hatte Ragnar die Wahrheit gesagt. Ich würde zurückkehren, und ich würde ihm berichten, was ich gesehen hatte. Das hatte ich versprochen, und für einen Jungen sind Versprechungen heilig, sie zu brechen würde göttliche Rache nach sich ziehen. Ich mochte mich eines Tages für meine Herkunft entscheiden, doch diese Zeit war noch nicht gekommen, und so schlich ich über das Feld. Klein und verletzlich fühlte ich mich, das Herz schlug mir bis zum Hals, und die Bedeutung dessen, was ich tat, lag auf meinem Gewissen.
    Als ich dem Lager näher kam, richteten sich die Haare in meinem Nacken auf. Ich glaubte zu spüren, dass mir jemand folgte, drehte mich um, lauschte und starrte, sah aber nichts als die in der Nacht zitternden schwarzen Schatten. Wie ein Hase schlug ich einen Haken, warf mich zu Boden, lauschte erneut und war mir diesmal sicher, Schritte im Gras zu hören. Ich wartete, alle Sinne angespannt, aber da war nichts, und so kroch ich weiter bis zur Barrikade, wo ich wieder atemlos verharrte. Weil ich nichts mehr hörte, glaubte ich, mir die Geräusche eingebildet zu haben. Es war leichter, als ich gedacht

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