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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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er.
    Beocca ging ein paar Schritte in meine Richtung, blieb stehen und drehte sich wieder um. Er war mir so nahe, dass ich ihn hätte berühren können, doch er bemerkte mich nicht. «Gott schickt die Versuchung, um uns zu prüfen, mein Herr», sagte er leise.
    «Er schickt uns Frauen», entgegnete der junge Mann schroff, «wir fehlen, und dann schickt er die Dänen, um uns zu bestrafen.»
    «Seine Wege sind unerforschlich», erwiderte Beocca.
    Immer noch kniend und den Kopf gesenkt, sagte der junge Mann: «Ich hätte nicht heiraten dürfen, Vater. Ich hätte einem Kloster beitreten und Mönch werden sollen.»
    «Ihr wäret unserem Herrn ein großer Diener, doch er hat andere Pläne mit Euch. Wenn Euer Bruder stirbt...»
    «Gott bewahre! Was für ein König wäre ich?»
    «Gottes König, mein Herr.»
    Das also, dachte ich, ist Alfred. Ich sah und hörte ihn, und er wusste nichts davon. Lauschend lag ich im Gras, während Beocca den Prinzen darüber hinwegzutrösten versuchte, dass er der Versuchung erlegen war. Offenbar hatte Alfred eine Magd aufs Kreuz gelegt und war gleich darauf von körperlichen Schmerzen und, wie er es nannte, Seelenpein heimgesucht worden.
    «Ihr solltet das Mädchen in Eure Dienste nehmen», schlug Beocca vor.
    «Nein!», platzte Alfred heraus.
    Im Zelt erklang eine Harfe, und beide Männer hielten lauschend inne. Dann ging Beocca vor dem unglücklichen Prinzen in die Hocke, legte ihm einen Arm um die Schulter und wiederholte: «Nehmt das Mädchen in Eure Dienste und widersteht seinen Reizen. Legt dieses Zeugnis vor Gott ab, beweist ihm Eure Stärke, und er wird Euch vergeben. Dankt ihm für diese Prüfung und preist seinen Namen, wenn Ihr zukünftigen Versuchungen widersteht.»
    «Gott wird mich verdammen», entgegnete Alfred bitter. «Als Osferth zur Welt kam, habe ich geschworen, mich nie wieder zu versündigen.» Osferth? Der Name sagte mir nichts. Sehr viel später erfuhr ich, dass Osferth ein Bastard des Prinzen war, gezeugt mit einer anderen Magd. «Ich habe darum gebetet, von weiteren Versuchungen verschont zu bleiben», fuhr Alfred fort, «mit Schmerzen bestraft zu werden, damit sie mich mahnen und ablenken. In seiner Gnade hat Gott mich krank werden lassen, und dennoch gab ich meiner Lust erneut nach. Ich bin der elendigste aller Sünder.»
    «Wir sind alle Sünder», sagte Beocca, der seine gesunde Hand auf Alfreds Schulter liegen ließ, «und wir sinken tief vor Gottes Herrlichkeit.»
    «Niemand ist so tief gesunken wie ich.»
    «Gott sieht Eure Reue. Er wird Euch wieder aufrichten. Stellt Euch der Versuchung, Herr», drängte Beocca. «Heißt sie willkommen, widersteht und dankt Gott, wenn es Euch gelungen ist. Dann wird er Euch belohnen.»
    «Indem er die Dänen verschwinden lässt?», fragte Alfred bitter.
    «Ja, so Gott will, mein Herr.»
    «Aber nicht, wenn wir nur abwarten», sagte Alfred, und es klang plötzlich eine Härte in seiner Stimme mit, die den Priester zurückweichen ließ. «Wir sollten angreifen!»
    «Burghred kennt sein Geschäft», sagte Beocca beruhigend, «und auch Euer Bruder. Mit Gottes Hilfe werden wir die Heiden aushungern.»
    Jetzt hatte ich meine Antwort. Die Engländer planten keinen Angriff, vielmehr wollten sie die Stadt durch Hunger zur Aufgabe zwingen. Ich wagte es nicht, mit dieser Nachricht aufzubrechen, solange mir Beocca und Alfred so nah waren. Also blieb ich und hörte zu, wie Beocca mit dem Prinzen betete. Als er schließlich ruhiger war, verschwanden die beiden im Zelt.
    Und ich machte mich auf den Rückweg. Ich kam nur langsam voran, blieb aber unentdeckt. In dieser Nacht war ich ein echter Sceadugengan. Wie ein Geisterschatten schlich ich durch die Dunkelheit, erklomm den Befesti-gungshügel der Stadt, rannte die letzten hundert Schritte und rief Ragnars Namen, worauf sich mir das Tor knarrend öffnete. Ich war zurück in Snotengaham.
    Als die Sonne aufging, führte mich Ragnar zu Ubba. Zu meiner Überraschung war auch Weland zugegen, Weland die Schlange. Er bedachte mich mit einem mürrischen Blick, doch noch düsterer als seine Miene war die von Ubba. «Was hast du getan?», knurrte er mich an.
    «Es waren keine Leitern zu sehen ...», hob ich an.
    «Was hast du getan?», wiederholte er knurrend. Also erzählte ich ihm die Geschichte von Anfang an. Wie ich über die Felder geschlichen war und, weil ich gefürchtet hatte, verfolgt zu werden, wie ein Hase einen Haken geschlagen und dann die Befestigung aus Ästen und Stämmen überwunden

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