Das letzte Koenigreich
plötzlich beschämt. Er hatte sagen wollen, dass meine i's - ausgesprochen wie das englische Wort für Augen - schielen, erinnerte sich dann aber an Beoccas Silberblick und war zerknirscht. «Mein lieber Beocca.»
«Nichts für ungut, mein Herr. Daran nehme ich keinen Anstoß.» Beoccas Heiterkeit war ungetrübt. So glücklich hatte ich ihn früher nur erlebt, wenn er in irgendeinen langweiligen Text über den heiligen Cuthbert vertieft war, der beschrieb, wie dieser die Papageientaucher segnete und den Seehunden die Frohe Botschaft verkündete. Er hatte mich gedrängt, diese Geschichten zu lesen, doch ich war nie über die ersten Sätze hinausgekommen.
«Du darfst dich glücklich schätzen, so früh mit deinen Studien angefangen zu haben», sagte Alfred, der nun seine Ernsthaftigkeit wieder gefunden hatte. «Ich durfte erst im Alter von zwölf Jahren lesen lernen.» Seinem Tonfall nach zu urteilen, erwartete er wohl, dass mich diese Auskunft verwundern und schockieren würde, also tat ich ihm den Gefallen und zeigte mich bestürzt. «Ein bedauerliches Versäumnis meines Vaters und meiner Stiefmutter», fügte er gewichtig hinzu. «Sie hätten mich viel früher dazu bringen müssen.»
«Aber jetzt lest Ihr so gut wie jeder Gelehrte, mein Herr», bemerkte Beocca.
«Ich versuche es», erwiderte Alfred bescheiden, von dem Kompliment aber sichtlich geschmeichelt.
«Und das Lateinische beherrscht Ihr weit besser als ich», lobte der Priester.
«Das könnte zutreffen», sagte Alfred lächelnd.
«Und seine Handschrift ist vorbildlich», ließ mich Beocca wissen. «So sauber und leserlich.»
«Wie auch deine werden muss, junger Uhtred», bestimmte Alfred, «und deshalb werden wir ein Lösegeld für dich anbieten. So Gott will, ziehst du dann als Diener in mein Haus ein und wirst gleich damit beginnen, Lesen und Schreiben zu lernen. Das wird dir gefallen.»
«Ja, mein Herr.» Was als Frage von mir gemeint war, klang wie ein dumpfes Einverständnis.
«Du wirst außerdem zu beten lernen», versprach Alfred, «und erfahren, was einen guten Christenmenschen ausmacht. Wenn du dann alt genug bist, kannst du selbst entscheiden, was du sein möchtest.»
«Ich will Euch dienen, Herr», belog ich den Prinzen, der für mich ein bleicher, langweiliger, frömmelnder Schwächling war.
«Sehr löblich», sagte er, «und wie willst du mir dienen?»
«Als Soldat, Herr, im Kampf gegen die Dänen.»
«Wenn Gott will», sagte Alfred, von meiner Antwort enttäuscht. «Und Gott weiß, dass wir Soldaten brauchen. Aber ich bete täglich, dass sich die Dänen auf Christus besinnen, ihre Sünden erkennen und von ihren Untaten ablassen. Das Gebet ist die Antwort», ereiferte er sich. «Gebet, Fasten und Gehorsam. Und wenn Gott unsere Gebete erhört, werden wir keine Soldaten nötig haben. Wohl aber braucht ein Königreich gute Priester. Ein solcher wäre ich gern selbst geworden, doch Gott hat mich zu anderem bestimmt. Es gibt nichts Höheres als die Berufung zum Priesteramt, Uhtred. Ich bin zwar ein Prinz, aber in den Augen Gottes nicht mehr als ein Wurm. Beocca dagegen ist ein Juwel von unschätzbarem Wert.»
«Ja, Herr», erwiderte ich, weil ich sonst nichts zu sagen wusste. Beocca versuchte, eine bescheidene Miene aufzusetzen.
Alfred beugte sich vor, versteckte Thors Hammer hinter meinem Hemd und legte mir eine Hand auf den Kopf. «Gott segne dich, mein Junge. Möge sein Angesicht über dir leuchten, dich von der Knechtschaft erlösen und ins gesegnete Licht der Freiheit fuhren.»
«Amen», sagte ich.
Daraufhin ließen sie mich zu Ragnar zurückkehren. «Schlagt mich», sagte ich. «Was?»
«Gebt mir was hinter die Ohren.»
Er blickte auf und sah, dass wir von Alfred beobachtet wurden. Also versetzte er mir einen Schlag, der härter war als erwartet. Ich stürzte grinsend zu Boden. «Wieso war das jetzt nötig?», fragte Ragnar.
«Weil ich erzählt habe, wie grausam ich behandelt werde», antwortete ich, «und dass ich immerzu geschlagen werde.» Ich wusste, dass Ragnar daran seinen Spaß haben würde, und so war es auch. Und um mich nicht Lügen zu strafen, schlug er ein zweites Mal zu. «Was wollen diese Mistkerle?»
«Sie wollen mich auslösen», antwortete ich, «mir Lesen und Schreiben beibringen und mich zu einem Priester machen.»
«Zu einem Priester? Wie diesen schielenden kleinen Bastard mit den roten Haaren?» «Ja.»
Ragnar lachte. «Vielleicht sollte ich auf ihr Angebot eingehen. Zur Strafe dafür, dass du
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