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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Hass in Kjartans Gesicht.
    «Warum segelt er nicht mit einem anderen Herrn?», fragte ich Ravn.
    «Weil alle wissen, dass er Ragnar beleidigt hat. Wer ihm einen Platz auf der Ruderbank anböte, würde den Zorn meines Sohnes heraufbeschwören.» Ravn zuckte mit den Achseln. «Kjartan sollte nach Dänemark zurückkehren. Wenn ein Mann das Vertrauen seines Herrn verliert, hat er alles verloren.»
    Doch statt nach Dänemark zurückzukehren, blieben Kjartan und sein einäugiger Sohn in Eoferwic. Wir legten ab und ließen uns von der Strömung der Ouse zur Mündung in den Humber treiben, wo wir die Nacht verbrachten. Am nächsten Morgen nahmen wir die Schilde von der Bordwand, warteten auf die Flut und ruderten ostwärts Richtung Meer.
    Ich war schon früher auf offenem Wasser gewesen, an Bord von Fischerbooten, die zwischen der Bebbanburg und den Farne- Inseln ihre Netze auswarfen, doch was ich jetzt erlebte, war etwas ganz anderes. Die Windviper flog wie ein Vogel über die Wellen, statt von ihnen hin- und her geworfen zu werden. Wir ruderten bis zur Mündung und setzten dort das große Segel, um den Nordwestwind zu nutzen. Die Ruder wurden eingeholt und im Kielraum verstaut, die Löcher, in denen sie gesteckt hatten, mit Holzpfropfen verschlossen. Der Wind wölbte das Segel und trieb uns nach Süden. Die Flotte bestand aus neunundachtzig Schiffen, drachenköpfigen Kriegern, die um die Wette segelten, und sooft ein Schiff ein anderes überholte, wurden Schmährufe laut. Ragnar lehnte am Steuer. Seine Haare flogen im Wind, und das Lächeln auf seinem Gesicht war breiter als der Horizont. Die aus Seehundleder gedrehten Seile knarrten, der Wind brauste in den Segeln, und krachend pflügte das Schiff durch schaumgekrönte Wellenberge. Anfangs fürchtete ich mich, denn die Windviper neigte sich, vom Wind gedrückt, bedrohlich weit auf die Seite, doch weil in den Gesichtern der anderen keine Spur von Angst zu erkennen war, lernte auch ich die wilde Fahrt zu genießen und jauchzte vor Vergnügen, wenn der Bug die schwere See durchbrach und uns die Gischt wie einen Pfeilregen entgegenschleuderte.
    «Etwas Besseres gibt es nicht!», rief mir Ragnar zu. «In Walhalla hoffe ich ein Schiff, ein Meer und Wind vorzufinden.»
    Die Küste blieb immer in Sicht, eine grüne Linie zu unserer Rechten, hier und da von Sanddünen unterbrochen, aber nie von Bäumen oder Hügeln, und als die Sonne unterging, nahmen wir Kurs auf diesen Küstenstreifen. Ragnar befahl, das Segel einzuholen und die Ruder in Position zu bringen.
    Wir fuhren in ein Feuchtgebiet aus Sümpfen und Schilf, langbeinigen Vögeln, Aalfallen und Gräben, flachen Kanälen und weiten Teichen, und ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters, der die Ostangeln als Frösche bezeichnet hatte. Wir befanden uns an der Grenze zwischen ihrem Land und Mercien, einer Region aus Wasser, Schlamm und Salzsolen. «Es wird das Gewaesc genannt», erklärte Ragnar.
    «Seid Ihr schon mal hier gewesen?», fragte ich.
    «Vor drei Jahren», antwortete er. «Ein gutes Land, um Beute zu machen. Allerdings ist das Wasser hier seicht und tückisch.»
    Das Gewaesc war sehr flach. Weland, der im Bug der Windviper hockte, lotete die Wassertiefe mit einer Schnur aus, die von einem Eisenstück beschwert wurde. Die Ruder kamen nur zum Einsatz, wenn er ansagte, dass das Wasser tief genug sei. So kamen wir, vom Rest der Flotte gefolgt, im abnehmenden Licht nur langsam voran. Die Schatten waren lang, und die rote Abendsonne stand auf der Höhe der aufgerissenen Drachen-, Schlangen- und Adlerrachen an unseren Schiffssteven. Vorsichtig zogen die Ruderer die Blätter durchs Wasser, und das Kielwasser fächerte sich in flachen Wellen, die im letzten Sonnenlicht rötlich schimmerten, hinter uns aus.
    In dieser Nacht ankerten wir und schliefen auf dem Schiff. Am frühen Morgen ließ Ragnar Rorik und mich auf den Mast klettern, um Ausschau zu halten. Ubbas Schiff lag neben unserem, und auch dort kletterte jemand zur bemalten Windfahne auf der Mastspitze.
    «Was seht ihr?», rief Ragnar von unten.
    «Drei Reiter», antwortete Rorik und zeigte nach Süden. «Sie beobachten uns.»
    «Und ein Dorf», fugte ich hinzu und deutete ebenfalls in südliche Richtung.
    Für die Männer am Ufer waren wir die Bestätigung ihrer schlimmsten Ahnungen. Sie sahen einen Wald aus Masten und hohen Steven mit ihren Furcht erregenden Schnitzereien. Wir waren ein Heer auf Drachenschiffen, und sie wussten, was auf sie zukommen würde. Die

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