Das letzte Koenigreich
Lügen über mich verbreitest.»
«Bitte nicht», flehte ich ihn an und fragte mich in diesem Augenblick, wieso ich jemals auf die andere Seite hatte wechseln wollen. Ragnars Freiheit gegen Alfreds strenge Frömmigkeit einzutauschen schien mir nun ein grausames Schicksal. Außerdem waren mir die Engländer längst zuwider. Sie wollten nicht kämpfen, und statt ihre Schwerter zu wetzen, beteten sie. Kein Wunder also, dass die Dänen ihr Land besetzt hielten.
Alfred bot tatsächlich an, mich freizukaufen, scheute aber vor Ragnars überzogener Forderung zurück, obwohl sie bei weitem nicht so hoch war wie der Preis, den Burghred am Ende zahlen musste.
Mercien musste fallen, denn Burghred hatte keine Leidenschaft in seinem dicken Wanst und war zu feige, gegen die Dänen anzutreten, die umso stärker wurden, je schwächer er sich zeigte. Vielleicht hatte er sich durch die vielen Schilde am Stadtwall von Snotengaham einschüchtern lassen. Er schien jedenfalls davon überzeugt, dass er die Dänen nicht würde schlagen können, und so ergab er sich. Es waren allerdings nicht nur unsere Streitkräfte, die ihn zur Aufgabe bewegten. Andere dänische Verbände zogen plündernd durch das Grenzgebiet zu Northumbrien, verwüsteten mercisches Land, brannten Kirchen nieder, schlachteten Mönche und Nonnen ab und fielen mit ihren Reitern immer wieder über Burghreds Versorgungstruppen her, sodass Burghred schließlich, der vielen Niederlagen müde, auf jede noch so ungeheure Forderung einging, um wenigstens dem Namen nach König von Mercien zu bleiben. Die Dänen übernahmen seine Festungen und besetzten sie mit ihren Kämpfern, sie hatten freie Auswahl unter den Ländereien, rekrutierten Männer aus Burghreds Fyrd für das eigene Heer und verlangten vom König eine riesige
Summe Silber für das Privileg, sein Königreich verlieren und zugleich am Thron festhalten zu dürfen. A Ethelred und Alfred, die in den Verhandlungen keine Rolle gespielt und ihre Hoffnungen in den Verbündeten wie eine Schweinsblase hatten platzen sehen, brachen einen Tag später auf und kehrten mit dem Rest ihres Heeres in den Süden zurück. Mercien war für die Engländer verloren.
Zuerst Northumbrien, dann Mercien. In nur zwei Jahren war halb England gefallen, und die Dänen standen noch ganz am Anfang.
Wieder brachen wir zu Raubzügen auf. Dänische Horden drangen bis in jeden Winkel Merciens vor, metzelten nieder, was ihnen im Weg stand, rissen an sich, wonach es sie verlangte, besetzten die wichtigsten Festungen und schickten Boten nach Dänemark, um weitere Männer und Familien anzuwerben, auf dass sie das große Land besiedelten, das ihnen in den Schoß gefallen war.
Ich hatte mich damit abgefunden, niemals für England zu kämpfen, war doch abzusehen, dass es kein England mehr geben würde, wenn ich das kampffähige Alter erreicht hätte. Also beschloss ich, Däne zu werden. Natürlich war ich verwirrt, machte mir aber über meine Verwirrung nicht allzu viele Gedanken. Stattdessen nahm ich, kurz bevor ich zwölf wurde, meine eigentliche Ausbildung auf. Ich musste stundenlang ein Schwert und ein Schild mit ausgestreckten Händen halten, bis ich meine Arme vor Schmerzen nicht mehr spürte. Ich übte, die Klinge zu führen, den Speer zu schleudern, und stach Schweine mit der Kriegslanze ab. Ich lernte, mich im Nahkampf mit dem Schild zu schützen und dem Gegner mit dem Schildbuckel die Nase einzuschlagen. Ich konnte bald rudern, wuchs heran, bildete Muskeln aus, begann, mit tieferer Stimme zu sprechen, und handelte mir die erste Ohrfeige von einem Mädchen ein. Inzwischen sah ich auch aus wie ein Däne. Noch immer hielten mich Fremde für Ragnars Sohn, denn ich hatte ähnlich helle und lange Haare, die ich mit einem Lederband im Nacken zusammenfasste. Ragnar hatte Gefallen daran, machte aber klar, dass ich nie den Platz Ragnars des Jüngeren oder Roriks einnehmen würde. «Wenn Rorik am Leben bleibt», sagte er, denn Rorik kränkelte immer noch, «wirst du um dein Erbe kämpfen müssen.» Und so lernte ich in diesem Winter nicht nur zu kämpfen, sondern auch zu töten.
Wir kehrten nach Northumbrien zurück. Ragnar hätte in Mercien fruchtbareres Land finden können, zog aber die Berge, tiefen Täler und dichten Wälder vor. Am Morgen nach dem ersten Frost nahm er mich mit auf die Jagd. Zwanzig Treiber und doppelt so viele Hunde versuchten, einen Eber einzukesseln. Ragnar und ich waren mit schweren Jagdspeeren bewaffnet. «Ein Eber kann dich
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