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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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vor ihm nieder.» Er führte mich zu Alfred, der auf einem Stuhl saß, und ich beugte das Knie, wie es mir aufgetragen war. «Das ist der Junge, von dem ich sprach, mein Herr », sagte Beocca. «Aldermann Uhtred aus Northumbrien, seit dem Fall von Eoferwic eine Geisel der Dänen, aber ein guter Junge.»
    Alfred musterte mich mit eindringlichem Blick, und mir war, um ehrlich zu sein, nicht wohl zumute. Ich lernte ihn mit der Zeit als außergewöhnlich klugen Mann kennen, der viel schneller denken konnte als die meisten anderen; und er war ein ernsthafter Mann, so ernsthaft, dass er alles verstand, nur keine Spaße. Er nahm alles ernst, selbst einen kleinen Jungen, und sein prüfender Blick war so lange auf mich gerichtet, als versuche er, die Tiefen meiner unreifen Seele auszuloten. «Bist du wirklich ein guter Junge?», fragte er mich schließlich.
    «Ich gebe mir Mühe, Herr.»
    «Sieh mich an», befahl er, denn ich hatte meine Augen gesenkt. Er lächelte, als ich seinem Blick begegnete. Anzeichen einer Krankheit, über die er in jener Nacht geklagt hatte, da ich ins englische Lager geschlichen war, konnte ich nicht erkennen, und ich fragte mich, ob er einfach nur betrunken war, das hätte sein erbärmliches Geschwätz erklärt. Jetzt aber war er vollkommen nüchtern und sachlich. «Wie gibst du dir Mühe, gut zu sein?», fragte er.
    «Ich versuche, den Versuchungen zu widerstehen, Herr», antwortete ich in Erinnerung an Beoccas Predigt hinter dem Zelt.
    «Das ist brav», sagte er, «sehr brav. Und? Gelingt es dir?»
    «Nicht immer», sagte ich und zögerte. Ich war versucht, ihn zu täuschen, und gab wie so oft der Versuchung nach. «Aber ich strenge mich an und sage mir, dass ich Gott für jede Versuchung dankbar sein und ihn preisen sollte, sooft er mir die Kraft verleiht, der Versuchung zu widerstehen.»
    Beide, Beocca und Alfred, starrten mich an, als wären mir Engelsflügel gewachsen. Ich wiederholte nur den Unsinn, den Beocca dem Prinzen als Rat gegeben hatte. Sie aber hielten dies für die Offenbarung meiner überwältigenden Glaubensgröße, worin ich sie bestärkte, indem ich möglichst demütig, unschuldig und fromm dreinzublicken versuchte. «Dich hat uns Gott geschickt, Uhtred», frohlockte Alfred. «Sprichst du regelmäßig deine Gebete?»
    «Jeden Tag, Herr», antwortete ich, verschwieg aber, dass diese Gebete an Odin gerichtet waren.
    «Und was hast du da? Ein Kruzifix?», fragte er mit Blick auf das lederne Band, das um meinen Hals hing. Als ich nicht antwortete, streckte er die Hand aus und zog Thors Hammer unter meinem Hemd hervor. «Großer Gott», sagte er und bekreuzigte sich, «und so etwas trägst du auch?» Er spielte auf meine beiden Armreife an, in die dänische Runen eingraviert waren. Ich muss wirklich wie ein richtiges Heidenkind ausgesehen haben.
    «Man zwingt mich dazu», antwortete ich und spürte sein Verlangen, mir das frevlerische Symbol vom Hals zu reißen. «Wenn ich es nicht tue, schlagen sie mich», fügte ich hastig hinzu.
    «Schlagen sie dich oft?», wollte er wissen.
    «Ständig, Herr», log ich.
    Bekümmert schüttelte er den Kopf und ließ den Hammer los. «Ein Götzenbild», sagte er. «Welch schwere Bürde für einen kleinen Jungen.»
    «Vielleicht können wir ihn auslösen, Herr», schlug Beocca vor.
    «Wir?», fragte Alfred. «Ihn auslösen?»
    «Er ist der rechtmäßige Aldermann von Bebbanburg», erklärte Beocca. «Sein Onkel aber maßt sich diesen Titel an und lässt die Dänen gewähren, anstatt den Kampf gegen sie aufzunehmen.»
    Alfred sah mich nachdenklich an und zog die Stirn kraus. «Kannst du lesen, Uhtred?»
    «Er hat angefangen, es zu lernen», antwortete Beocca für mich. «Er war mein Schüler, Herr, aber, um die Wahrheit zu sagen, nicht besonders strebsam. Er tat sich schwer mit dem Schreiben. Seine Thorns sind stachelig und seine Ashes dürr.»
    Ich sagte bereits, dass Alfred keinen Sinn für Scherze hatte, aber dieser schien ihm zu gefallen, obwohl er so abgestanden war wie schales Ale und ranziger Käse. Doch jeder, der das Schreiben unterrichtete, liebte diesen Spruch, und sowohl Beocca als auch Alfred lachten darüber, als wäre er so frisch wie der Tau bei Sonnenaufgang. Der Thorn -ä - und das Ash - ae - sind Buchstaben unseres Alphabets, bedeuten aber auch Dorn beziehungsweise Esche. «Seine Thorns sind stachelig», echote Alfred kichernd, «und seine Ashes dürr. Seine b's summen nicht und seine i's ...» An dieser Stelle unterbrach er sich,

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