Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
Vom Netzwerk:
das Kettenhemd des am Boden liegenden Gegners nieder.
    Eine Gruppe von englischen Kämpfern eilte ihrem Herrn zur Seite, doch sofort waren ebenso viele Dänen zur Stelle, Schild an Schild, und Ragnar versetzte dem Gestürzten mit einem gellenden Triumphschrei den Todesstoß. Mit einem Mal widersetzte sich uns niemand mehr. Wer nicht tot oder verwundet war, rannte davon, allen voran ihr König, der Prinz und die Priester zu Pferde. Wir johlten und brüllten ihnen unseren Spott hinterher, hießen sie Duckmäuser und Feiglinge, die wie Mädchen kämpften.
    Und dann warteten wir, bis unser Atem wieder ruhig ging, ruhten uns aus auf diesem Feld voller Blut und voller Leichen. Nun fiel Ragnars Blick auf mich und Brida. «Was tut ihr hier?», fragte er und lachte.
    Statt zu antworten, zeigte Brida ihm ihren bluttriefenden Speer, und Ragnars Augen wanderten weiter zu
    Schlangenhauch, und er sah die rot verschmierte Klinge. «Narren», schalt er uns liebevoll. Und dann brachte einer unserer Männer einen gefangenen Westsachsen, um ihm den Herrn zu zeigen, den Ragnar erschlagen hatte. «Wer ist das?», verlangte Ragnar zu wissen. Ich übersetzte für ihn.
    Der Engländer bekreuzigte sich. «Das ist Aldermann A Ethelwulf», antwortete er. Mir verschlug es die Sprache. «Was hat er gesagt?», fragte Ragnar. «Es ist mein Onkel», sagte ich.
    « A Elfric?» Ragnar war überrascht. « A Elfric von Northumbrien?»
    Ich schüttelte den Kopf. «Der Bruder meiner Mutter», erklärte ich, « A Ethelwulf von Mercien.» Ob er es tatsächlich war, konnte ich nicht wissen. Vielleicht gab es noch einen anderen A Ethelwulf von Mercien. Trotzdem zweifelte ich nicht daran, dass es sich um meinen Oheim handelte, den Mann, der über die Grafen Sidroc gesiegt hatte. Ragnar sah die Niederlage des vorausgegangenen Tages gerächt und jubelte vor Freude, während ich in das tote Gesicht starrte. Ich hatte ihn nie gekannt. Warum also war ich traurig? Er hatte ein schmales Gesicht, helles Barthaar und einen gestutzten Schnauzbart. Ein gut aussehender Mann, dachte ich. Und er gehörte zu meiner Familie. Gleichzeitig erschien es mir seltsam, da ich außer Ragnar, Ravn, Rorik und Brida keine Familie kannte.
    Ragnar forderte seine Männer auf, die Waffen des Toten sowie den kostbaren Helm an sich zu nehmen, und ließ, weil der Aldermann so tapfer gekämpft hatte, dem Leichnam seine übrige Bekleidung. Schließlich legte er ihm ein Schwert in die leblose Hand, damit seine Seele in die große
    Halle einziehen könne, in der alle tapferen Kämpfer an Odins Seite feierten.
    Vielleicht haben sich die Walküren tatsächlich seiner Seele erbarmt, denn als wir den Toten am nächsten Morgen begraben wollten, war der Leichnam von Aldermann A Ethelwulf verschwunden.
    Sehr viel später hörte ich, dass es sich um meinen Onkel gehandelt hatte. Und dass ein paar seiner Männer in jener Nacht auf das Feld geschlichen waren, seine Leiche gesucht und anschließend für ein christliches Begräbnis in seine Heimat gebracht hatten.
    Und vielleicht stimmt das auch. Aber vielleicht feiert er auch an Odins Seite in der großen Halle.
    Jedenfalls hatten wir die Westsachsen in die Flucht geschlagen, und wir hatten immer noch Hunger. Also war es an der Zeit, die Vorräte des Feindes zu rauben.
    Warum habe ich für die Dänen gekämpft? Jeder Lebensabschnitt wirft Fragen auf, doch diese quält mich immer noch, obwohl sie nicht schwer zu beantworten ist. Meine andere Wahl wäre gewesen, in irgendeinem Kloster zu sitzen und lesen zu lernen. Da hätte wohl jeder Junge lieber für den Teufel gekämpft, als Buchstaben auf Schiefer- oder Ton tafeln zu kratzen. Außerdem war da Ragnar, den ich liebte. Er schickte seine drei Schiffe über die Temes, um in mercischen Dörfern Heu und Hafer zu beschaffen, und sie fanden auch genügend, sodass die Pferde wieder bei Kräften waren, als unser Heer weiter gen Westen zog.
    Es ging auf A Ebbanduna zu, eine weitere an der Temes gelegene Grenzstadt zwischen Wessex und Mercien, in der die Westsachsen, so einer unserer Gefangenen, einen Großteil ihrer Vorräte gelagert hatten. Wenn es uns gelänge, A Ebbanduna einzunehmen, wäre das Heer von A Ethelred ohne Proviant, Wessex würde fallen, England verschwinden und Odin triumphieren.
    Es kam jetzt nur noch auf die Kleinigkeit an, das westsächsische Heer vernichtend zu schlagen. Nach der Schlacht von Readingum marschierten wir vier Tage lang, ohne dass uns feindliche Truppen zu Gesicht kamen, und wir

Weitere Kostenlose Bücher