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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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seine Männer, «Holt eure Schilde!», denn viele Männer hatten sich in aller Hast nur mit Schwertern und Speeren bewaffnet. Auch ich hatte keinen Schild, sollte aber auch gar nicht hier sein, und Ragnar bemerkte mich nicht.
    Er sah, wie die letzten unserer Grassammler von westsächsischen Reitern abgeschlachtet wurden. Auch von der Gegenseite fielen einige, von unseren Pfeilen getroffen, doch weder wir noch die Engländer hatten viele Bogenschützen. Bogenschützen sind nützlich. Sie können aus großer Entfernung töten, und selbst, wenn sie nicht treffen, machen sie den Feind doch nervös. Unter dem Beschuss von Bogenschützen ist der Angreifer blind, weil er hinter seinem Schild in Deckung gehen muss. Aber es ist eine hohe Kunst, mit Pfeil und Bogen zu kämpfen. Es sieht einfach aus, und jedes Kind hat einen Bogen und ein paar Pfeile. Aber der Bogen eines Mannes, ein Bogen, mit dem man einen Hirsch aus hundert Schritt Entfernung töten kann, ist schweres Gerät, aus Eibenholz geschnitzt. Ihn zu spannen erfordert sehr viel Kraft, und nur wer unablässig übt, bringt seine Pfeile zuverlässig an ihr Ziel. Deshalb hatten wir nie mehr als eine Hand voll
    Bogenschützen. Ich habe nie einen Bogen zu beherrschen gelernt. Im Umgang mit Speer, Axt oder Schwert war ich tödlich, aber mit einem Bogen war ich wie die meisten Männer unnütz.
    Ich frage mich manchmal, warum wir nicht hinter unserem Wall geblieben sind. Er war so gut wie fertig gestellt. Um ihn zu erreichen, hätte der Feind den Graben oder die Brücken überqueren müssen, und zwar unter einem Hagel von Pfeilen, Speeren und geschleuderten Äxten. Er wäre mit Sicherheit zurückgeschlagen worden, hätte uns dann aber wahrscheinlich belagert und auszuhungern versucht. Daher beschloss Ragnar den Angriff. Und nicht nur er. Während Ragnar seine Kämpfer am Nordtor sammelte, tat Halfdan am Südwall das Gleiche, und als beide der Ansicht waren, genügend Männer beisammenzuhaben, ließen sie die Tore öffnen.
    Das Heer der Westsachsen, noch an die zweihundert Schritt entfernt, rückte unter seinem großen Drachenbanner auf die beiden mittleren Brücken vor. Offensichtlich glaubten die Männer, das Gemetzel an unseren Grassammlern sei bloß der Vorgeschmack auf ein noch größeres Blutbad gewesen. Sie hatten keine Leitern bei sich, und wie sie den neu errichteten Wall überqueren wollten, weiß ich nicht. Aber manchmal macht sich in der Schlacht eine Art Wahnsinn breit, und Männer handeln ohne Vernunft. Die Männer aus Wessex hatten keinen vernünftigen Grund, sich auf die Mitte unseres Walls auszurichten, zumal sie nicht darauf hoffen konnten, ihn zu überwinden, und sie taten es dennoch. Nun schwärmten unsere Männer aus den äußeren Toren und griffen sie von beiden Seiten an.
    «Schildwall!», brüllte Ragnar. «Schildwall!»
    Ein Schildwall schließt sich mit unverkennbaren Geräuschen. Die Schilde - aus Lindenholz, wenn sie gut sind, anderenfalls aus Weide - schlagen krachend aneinander. Die linke Seite überlappt die rechte des Nebenmannes, damit der Gegner, der sein Schwert gewöhnlich rechtshändig führt, auf zwei Holzschichten prallt.
    «Eng zusammenschließen!», rief Ragnar. Er stand im Zentrum seines Schildwalls, unmittelbar vor der Standarte mit der zerrupften Adlerschwinge. Er war einer der wenigen Männer mit kostbarem Helm, der ihn dem Gegner als Anführer verriet, als einen Mann, den es schnell zu töten galt. Ragnar trug nach wie vor den Helm meines Vaters, den von Ealdwulf geschmiedeten Kopfschutz mit Visier und Silberschmuck. Außerdem trug er ein Kettenhemd, auch diese Kostbarkeit besaßen nur wenige Männer. Die meisten hatten sich mit Leder gewappnet.
    Der Feind wandte sich gegen uns und formierte sich ebenfalls zu einem Schildwall. Ich sah eine Reitergruppe in der Mitte des Heeres hinter dem Drachenbanner Aufstellung nehmen und entdeckte unter ihnen einen rothaarigen Mann, in dem ich Beocca wieder zuerkennen glaubte. Wenn ich richtig gesehen hatte, würde auch Alfred da sein, womöglich in der Schar schwarz gekleideter Priester, die zweifellos um unseren Tod beteten.
    Der gegnerische Schildwall war länger als unserer. Er war nicht nur länger, sondern auch breiter, denn während unserer aus drei Reihen von Männern bestand, war ihr Wall aus fünf oder sechs Reihen gebildet. Vernünftigerweise hätten wir entweder die andere Seite angreifen lassen oder, besser noch, uns hinter unseren Wall zurückziehen sollen. Doch es eilten immer mehr

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