Das letzte Koenigreich
auf die Beine zu kommen. Die
Westsachsen aber überließen das Fest den Priestern, die es in eine Trauerfeier verwandelten. Ich habe nie wirklich verstanden, was Religion in diesem Mittwinterfest zu suchen hat, obwohl natürlich auch die Dänen in dieser Zeit ihrer Götter gedenken und ihnen opfern. Doch sie glauben auch, dass Odin, Thor und all die anderen Götter fröhliche Feste im Asgard feiern und uns die Feste im Midgard, unserer Welt, nicht verderben wollen. Das erscheint mir vernünftig, doch habe ich gelernt, dass die meisten Christen jedes Vergnügen ängstlich beargwöhnen, und für ihren Geschmack bot Jule allzu viel davon. Es gab in Wessex noch einige Gemeinden, die wussten, wie man das Julfest feiert, und auch ich ließ mir die Laune nicht verderben. Wenn aber Alfred in der Nähe war, galt es während der gesamten zwölf Weihnachtstage zu fasten, zu beten und Buße zu tun.
Kurzum, ich wollte eigentlich nur sagen, dass wir uns vorgenommen hatten, das Julfest, an dem Thyra heiraten sollte, zur schönsten Feier seit Menschengedenken zu machen. Die Vorbereitungen nahmen uns alle in Anspruch. Wir fütterten mehr Tiere als sonst durch den Winter und schlachteten sie erst kurz vor dem Fest, damit das Fleisch nicht gepökelt werden musste. Wir gruben Mulden und füllten sie mit Brennholz, um darüber auf großen Eisenrosten, die von Ealdwulf geschmiedet wurden, Schweine und Rinder zu braten. Ealdwulf murrte und meinte, dass ihn diese Arbeit von wichtigeren Aufgaben abhielte, aber insgeheim freute er sich, denn er liebte gutes Essen. Neben Schweine- und Rindfleisch sollte es auch Heringe geben, Lachs, Hammel, Hecht, frisch gebackenes Brot, Käse, Ale, Honigwein und, das Beste von allem, Würste im Schafsdarm, hergestellt aus Schlachtblut, Innereien und Hafer, gewürzt mit Rettich, wildem Knoblauch und Wacholderbeeren. Ich liebte diese Würste und mag sie immer noch, knusprig gebraten, aber innen noch weich, dass das warme Blut nur so spritzt, wenn man hinein beißt. Ich erinnere mich an Alfreds angeekelte Miene, als ich eine solche Wurst verschlang und mir der Blutsaft in den Bart rann, während er an weich gekochtem Lauch lutschte.
Wir planten auch Sportwettkämpfe und Spiele. Der See in unserem Tal war zugefroren, und ich sah immer gebannt zu, wenn sich junge Dänen bearbeitete Rinderknochen unter die Schuhe banden und darauf über das Eis glitten. Einmal brach das Eis, und ein Junge ertrank, worauf es vorerst mit diesem Vergnügen ein Ende hatte, doch rechnete Ragnar damit, dass sich bis Jule wieder eine dicke Eisschicht gebildet haben würde, und ich war entschlossen, die Kunst des Eisgleitens selbst zu erlernen. Aber noch waren Brida und ich damit beschäftigt, Holzkohle für Ealdwulf zu gewinnen, der Ragnar ein neues Schwert schmieden wollte. Es sollte sein Meisterwerk werden, und wir hatten den Auftrag, zwei Wagenladungen Erlenholz in den bestmöglichen Brennstoff zu verwandeln.
Wir hatten uns vorgenommen, den Meiler am Tag vor dem Fest zu öffnen, aber es war der größte, den wir je gebaut hatten, und wir mussten feststellen, dass er noch nicht genügend abgekühlt war. Öffnete man den Meiler zu früh, brach sofort ein starkes Feuer aus, das die gesamte Holzkohle zu Asche verbrennen würde. Darum versiegelten wir alle Luftlöcher in der Hoffnung, den Meiler am Jul- morgen vor Beginn der Feierlichkeiten aufbrechen zu können. In der großen Halle hatten sich schon fast alle Männer Ragnars und deren Familien eingefunden und wollten die Nacht dort verbringen, um pünktlich zur ersten Mahlzeit und zu den Spielen anwesend zu sein, die vor der Vermählungszeremonie auf der Weide unterm Haus stattfinden sollten. Brida und ich verbrachten die Nacht vor dem Meiler. Wir befürchteten, ein Tier könne die Torfschicht aufkratzen und damit einen Luftzug in den Meiler lenken, der das Feuer im Innern neu entfachen würde. Da ich nie ohne Schlangenhauch und Wespenstachel aus dem Haus ging, hatte ich meine Waffen auch jetzt bei mir. Auch Nihtgenga war wie immer bei uns. Wir hatten uns in Felle eingemummt, denn die Nacht war kalt und der Meiler fast abgebrannt, weshalb er kaum noch Wärme ausstrahlte.
«Wenn du ganz still bist», sagte Brida, «kannst du die Geister spüren.»
Ich glaube, ich war bald eingeschlafen. Als ich irgendwann in den frühen Morgenstunden erwachte, schlief Brida tief und fest. Ich richtete mich vorsichtig auf, um sie nicht zu wecken, und starrte, lauschend und ohne mich zu rühren, auf
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