Das letzte Koenigreich
der Suche nach Sceadugengan ins Dunkle. Kobolde und Elfen, Luftgeister, Gespenster und Zwerge, sie alle schleichen nachts in Midgard umher. Brida und ich hatten Brotkrumen für sie ausgestreut, damit sie uns in Frieden ließen. Ich horchte also in die Stille und achtete auf die Geräusche des Waldes bei Nacht, das weiche Windesseufzen und das Geraschel im Dickicht.
Und dann hörte ich die Stimmen.
Ich weckte Brida. Nihtgenga knurrte verhalten, gehorchte aber sofort, als Brida ihm zuflüsterte, still zu sein.
Männer bewegten sich im Dunkel, und einige kamen auf den Meiler zu. Wir zogen uns in den nächtlichen Wald zurück, lautlos und schattengleich, bergan. Aus sicherer Entfernung und im Schutz der Bäume schauten wir zurück und sahen Männer um den Meiler herumgehen. Dann war das Schlagen von Feuerstein auf Eisen zu hören, eine kleine Flamme flackerte auf. Offenbar suchten die Männer den Köhler, den sie in der Nähe wähnten, doch sie fanden uns nicht, und nach einer Weile wandten sie sich talabwärts. Wir folgten ihnen.
Wolfsgrau dämmerte der Himmel im Osten. Die Blätter waren mit Raureif überzogen, ein leichter Wind regte sich. «Wir müssen Ragnar Bescheid geben», flüsterte ich.
«Unmöglich», antwortete Brida, und sie hatte Recht. Dutzende von Männern schnitten uns den Weg zum Hof ab, und für einen Alarmruf waren wir viel zu weit entfernt. Also versuchten wir, die Fremden zu umgehen, und liefen den Hang entlang, um dann zur Schmiede abzusteigen, wo Ealdwulf schlief. Doch wir waren noch nicht weit gekommen, als das Feuer ausbrach.
Dieser Morgen ist mir unauslöschlich in Erinnerung, eingebrannt von den Flammen, die über unserem Hof aufloderten. Wir konnten nichts tun, nur zusehen. Kjartan und Sven waren mit mehr als hundert Männern in unser Tal gekommen, um Ragnars Haus zu überfallen. Ich erkannte Kjartan und seinen Sohn im Schein der brennenden Fackeln, die den Eingang beleuchteten, sah Leute aus dem Haus stürzen und, von Speeren und Pfeilen durchbohrt, zu Boden sinken. Die vom Dach aufschießenden Flammen griffen um sich und überstrahlten mit ihrer Glut das graue Morgenlicht. Wir hörten Menschen und Tiere schreien. Einige Männer stürmten mit ihren Waffen ins Freie, doch auch sie wurden von den Soldaten niedergemacht, die das Haus umstellt hatten, an jeder Tür, vor jedem Fenster standen und alle Hochzeitsgäste und Bewohner des Hauses töteten. Nur die jüngeren Frauen blieben verschont. Sie wurden zur Seite gestoßen und bewacht. Thyra wurde an Sven ausgeliefert, der sein Mordwerk an ihrer Familie unterbrach, um ihr einen wuchtigen Hieb auf den Kopf zu versetzen.
Ich sah weder Ravn noch Ragnar oder Sigrid, doch auch sie mussten ihr Leben lassen. Ich vermute, dass sie im Haus verbrannten, als das Dach in einem fauchenden Sturm aus Flammen, Rauch und Funkenschauern einstürzte. Auch Ealdwulf starb. Ich weinte. Ich wollte Schlangenhauch ziehen und mich auf die Mörderbande stürzen, doch Brida hielt mich zurück, und dann flüsterte sie mir zu, dass Kjartan und Sven sehr wahrscheinlich in den Wäldern der Umgebung nach Überlebenden suchen würden, und so flohen wir tiefer in den Wald. Die Dämmerung lag wie ein stumpf schimmerndes Eisenband am Horizont, als wir hastig den Hügel erklommen und zwischen dichtem Bewuchs und Felsbrocken Zuflucht suchten.
Den ganzen Tag über stieg Rauch von Ragnars Gehöft auf, und in der Nacht sahen wir die Glut durch die schwarzen Äste der Bäume schimmern. Am nächsten Morgen lag immer noch Rauch über dem Tal, in dem wir glücklich gewesen waren. Wir schlichen uns näher heran und sahen Kjartan und seine Männer in den verkohlten Resten des Hauses herumstöbern.
Sie sammelten, was noch zu gebrauchen oder zu verkaufen war, Metallteile, ein geschmolzenes Kettenhemd, Silberstücke. Sie schienen von ihrer Ausbeute enttäuscht. Mit einem Karren wurden Ealdwulfs Werkzeuge und der schwere Amboss abgeholt. Thyra saß mit einem Strick um den Hals auf einem Pferd und wurde von Sven weggeführt. Kjartan pisste auf einen Haufen glühender Scheite und lachte über irgendeine Bemerkung eines seiner Männer. Am Nachmittag waren sie verschwunden.
Ich war sechzehn und meine Kindheit war zu Ende. Und Ragnar, mein Herr, der mich zu seinem Sohn gemacht hatte, war tot.
Die Toten lagen noch in der Asche, doch es war unmöglich, jemanden zu erkennen oder auch nur Männer von Frauen zu unterscheiden, denn die Hitze hatte sie so sehr schrumpfen lassen, dass Erwachsene
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