Das letzte Koenigreich
mehr bereicherte und zu Ricsigs ranghöchstem Krieger und Steuereintreiber aufrückte.
Von alldem hörten wir nichts. Wir fuhren die Ernte ein und feierten, und es wurde verkündet, dass Thyra und Anwend zu Jule heiraten würden. Ragnar bat Ealdwulf den Schmied, ein Schwert für Anwend zu schmieden, das so schön sein sollte wie meines, und Ealdwulf versprach es. Gleichzeitig wollte er ein Kurzschwert der Art, wie es von Toki für den Nahkampf im Schildwall empfohlen worden war, für mich herstellen, und ich half ihm dabei, die ineinander gedrehten Eisenstangen auszuhämmern. Wir arbeiteten den ganzen Herbst, bis Anwends Schwert und meine Saxe fertig waren. Ich nannte sie Wespenstachel und konnte es kaum abwarten, sie im Kampf auszuprobieren, was Ealdwulf für töricht hielt. «Im Leben eines Mannes kommen die Feinde früh genug», sagte er. «Du brauchst sie nicht zu suchen.»
Im Frühwinter baute ich meinen ersten Schild, sägte Lindenholz, schmiedete einen großen Schildbuckel und den Griff, der in das Loch hinter dem Buckel eingepasst werden musste, strich das Holz schwarz an und verstärkte den Rand mit einem Eisenband. Am Ende war er viel zu schwer, und es sollte noch eine Weile dauern, bis ich lernte, einen leichteren Schild zu bauen. Aber sooft ich Gelegenheit hatte, wappnete ich mich in jenem Winter mit meinem Schild, dem Schwert und der Saxe, um mich an das Gewicht zu gewöhnen. Ich übte verschiedene Angriffs- und Abwehrschläge und träumte vor mich hin. Ich ersehnte und fürchtete gleichzeitig meinen ersten Schildwall, denn ein Mann war erst dann ein wahrer Krieger, wenn er in vorderster Reihe im Schildwall gekämpft hatte, im Königreich des Todes, dem Ort des Schreckens, doch ich, Narr, wollte so schnell wie möglich dort hin.
Wir bereiteten uns tatsächlich auf Krieg vor. Ragnar hatte Guthrum seine Unterstützung zugesichert, und so stellten Brida und ich Holzkohle her, Ealdwulf schmiedete Speerspitzen, Axtklingen und Piken, und Sigrid beschäftigte sich damit, ihrer Tochter eine schöne Hochzeit auszurichten. Zunächst gab es ein Verlöbnis, zu dem Anwend in seinen besten, fein säuberlich geflickten Kleidern, von sechs Freunden begleitet, in unserem Haus erschien, um sich Ragnar als Schwiegersohn anzuempfehlen. Obwohl feststand, dass er Thyras Mann sein sollte, wurde auf diese Förmlichkeit großer Wert gelegt. Thyra saß zwischen ihren Eltern, als Anwend, schüchtern und verlegen, Ragnar hoch und heilig versprach, seine Tochter zu lieben, zu ehren und zu beschützen. Dann bot er einen Brautpreis von zwanzig Silberstücken, der eigentlich viel zu hoch war, aber, wie ich vermute, deutlich machen sollte, dass er Thyra wirklich liebte.
«Die Hälfte reicht auch», sagte Ragnar, großzügig wie immer. «Den Rest kannst du für neue Kleider ausgeben.»
«Zwanzig Silberstücke sind durchaus angemessen», widersprach Sigrid, denn der Brautpreis würde, obwohl vom
Vater entgegengenommen, nach der Hochzeit in Thyras Besitz übergehen.
«Dann soll dir Thyra neue Kleider nähen», sagte Ragnar. Er ließ sich das Geld auszahlen, umarmte Anwend und lud zur Feier. Seit Roriks Tod hatte ich ihn nicht so glücklich gesehen wie an diesem Abend. Thyra schaute den Männern beim Tanz zu und errötete manchmal, wenn sie Anwends Blicke auf sich spürte. Seine sechs Freunde, alle Krieger unter Ragnar, würden ihn auch zur Hochzeit begleiten und anwesend sein, wenn Anwend Thyra in sein Bett brachte, und erst, wenn sie meldeten, dass sie intakt sei, galt die Ehe als geschlossen.
Aber damit mussten wir noch bis zum Julfest warten. Thyra würde heiraten, es würde ein Fest geben, der Winter würde zu ertragen sein, und wir würden in den Krieg ziehen. Mit anderen Worten, wir glaubten, dass alles wie immer weiterginge.
Doch die drei Spinnerinnen am Fuß des Lebensbaums Yggdrasil spotteten unser.
Ich habe am Königshof von Wessex viele Weihnachtsfeste miterlebt. Weihnachten ist Jule mit Religion. Die Westsachsen haben es fertig gebracht, das schöne Fest zur Wintersonnenwende mit monotonen Liturgien und unerträglich langen Predigten zu verunstalten. Jule soll eine Feier sein, die tröstet, ein Moment warmen Lichts im Herzen des Winters, Tage der Festmahle angesichts karger Zeiten, die anbrechen, wenn die Vorräte knapp werden und das Land mit Schnee und Eis bedeckt ist, glückliche Stunden, in denen getrunken und ausgelassen gescherzt wird, bis man sich am nächsten Morgen nicht mehr vorstellen kann, jemals wieder
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