Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
unterbesetzte Arrestzentrale nach Verstärkung rief.
Der leitende Beamte schnappte sich das Telefon, nachdem er zwei Polizeianwärter angeblafft hatte: »Verdammt noch mal, holt den psychiatrischen Notdienst. Die Werwölfin von Nummer zwanzig muß raus hier!«
Sein Blick streifte seine Armbanduhr. Es war noch nicht einmal neun Uhr morgens.
»Stille Nacht«, stöhnte er und öffnete seinen obersten Hosenknopf. »Stille Scheißnacht!«
51
»Mit seiner Tochter? War er pervers?« Karl Sommarøy dachte an seine eigenen kleinen Töchter und schnitt eine Grimasse. »Aber warum?«
Billy T. machte eine resignierte Handbewegung.
»Das paßt alles zusammen. Die Frage ist:Warum sollte ein kinderloser Mann in den besten Jahren sich kurz vor seiner Hochzeit mit einer jungen Frau sterilisieren lassen? Antwort: weil er kein Picknick-mit-dem-Tod-Kind zeugen wollte.«
»Oder weil er überhaupt kein Kind wollte«, sagte Karl skeptisch und fuhr sich nachdenklich mit dem glatten Pfeifenkopf über die Wange.
»Frage«, sagte Billy T., unbeeindruckt von dem Einwand seines Kollegen. »Warum hat seine Frau in einer winzigen Bude gehaust, wo sie doch mitten in der Stadt eine fußballplatzgroße Wohnung hatten? Antwort: weil Brede Ziegler es doch ziemlich widerwärtig fand, mit seiner Tochter im Ehebett zu liegen. Trotz allem.«
»Aber ein Motiv hast du mir immer noch nicht genannt.«
Billy T. zupfte sich am Ohrläppchen. »Ich hab keine Ahnung«, sagte er gelassen. »Aber ich werde das schon klären. Wir müssen die junge Witwe einbuchten und uns erzählen lassen, was sie weiß. Komm doch einfach mit. Wir haben viel zu lange gebraucht, um diese Bude in Sinsen zu finden. Andererseits: Was zum Henker hätte diese Adresse uns bisher auch geholfen?«
Er lächelte. Das hatte Karl Sommarøy schon lange nicht mehr gesehen. Jedenfalls nicht, seit Hanne Wilhelmsen zurückgekommen war.
»Geht nicht«, sagte er kurz. »Ich habe noch über dreihundert Überstunden ausstehen und hab meiner Frau versprochen, mit ihr einkaufen zu gehen. Ich hab nicht mehr lange zu leben, wenn ich nicht in einer halben Stunde zu Hause bin. Du mußt jemand anderen mitnehmen.«
Billy T. fuhr allein nach Sinsen.
Vernehmung von Tussi Gruer Helmersen
Vernehmung durchgeführt von Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen. Abgeschrieben von Sekretärin Rita Lyngåsen. Von dieser Vernehmung existiert ein Band. Die Vernehmung wurde am Montag, dem 20. Dezember 1999, um 12.30 auf der Osloer Hauptwache aufgezeichnet.
Zeugin:
Helmer, Tussi Gruer, Personenkennummer
110529.23789
Adresse:Jacob Aallsgt. 2, 0368 Oslo
Rentnerin, Telefon: 22 63 87 19
Über ihre Pflichten belehrt, aussagebereit. Die Zeugin weiß, daß die Vernehmung auf Band aufgenommen und später ins Protokoll überführt werden wird. Die Zeugin ist darüber informiert worden, daß ihre Aussagen im Rahmen der Ermittlungen im Mordfall Brede Ziegler erfolgen.
PROTOKOLLANTIN:
Jetzt habe ich das Tonbandgerät eingeschaltet. Ehe es richtig losgeht, möchte ich Sie bitten, einige Ihrer Personalien zu bestätigen. Sie heißen wirklich Tussi, stimmt das? So steht es auf Ihrer Geburtsurkunde?
ZEUGIN:
Ja. Sie müssen wissen, ich wurde in einer Zeit geboren, als die Behörden gesetzestreue Bürger in Ruhe gelassen haben. Ich heiße so, wie meine Eltern das wollten. Damals gab es noch nicht solche Ministerien. Oder wer auch immer das heutzutage zu entscheiden hat. Verstehen Sie, ich bin im Mai geboren. Als meine Mutter mit mir aus dem Krankenhaus kam, hatte mein Vater das Wohnzimmer mit Huflattich geschmückt. Zur Feier des Tages, verstehen Sie? Mein Vater hatte nicht viel Geld, aber er hatte Phantasie. Tussilago farfara ist der botanische Name des Huflattichs. Huflattich und Fanfaren. Verstehen Sie? Mein Name hat also nichts mit einem blöden Frauenzimmer zu tun. Der Herr soll mich beschützen, ich bin doch nicht …
PROTOKOLLANTIN (unterbricht):
Danke, das reicht. Wir müssen nur darauf achten, daß die Personalien stimmen. Es ist schön, daß Sie so schnell herkommen konnten, ich möchte …
ZEUGIN (unterbricht):
Das wäre ja noch schöner! Ich bin gekommen, sowie ich Ihren Zettel an meiner Tür gefunden hatte. Bitte melden Sie sich bei der Polizei. Richtig höflich, ja. Sie müssen wissen, daß ich heute früh mit dem Valdresexpreß in Oslo angekommen bin, aber sowie ich den Zettel gefunden hatte, habe ich mich auf den Weg hierher gemacht. Ich habe nur schnell mein Gepäck in der Diele abgestellt. Noch nicht einmal
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