Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
interessierte sich nicht für das, was er war. Ihm ging es um das, was er werden konnte. Das hatte ich längst begriffen. Möchten Sie … möchten Sie einen Tee?«
Sie hielt ihre eigene Tasse fragend hoch. Silje nickte, doch Hanne machte eine abwehrende Handbewegung und log: »Wir haben eben erst einen Eimer Kaffee getrunken. Nein, danke.«
»Als ich mit Freddy Schluß gemacht habe, machte er im Grunde auch mit sich selbst Schluß.«
Thale Åsmundsen lachte kurz und freudlos. Hanne war nicht einmal sicher, ob sie wirklich lachen wollte. Vielleicht war es auch eine Art Schnauben.
»Er hat eine Ausbildung zum Koch gemacht, um danach zur See zu fahren. Aber dann hat er das mondäne Restaurantleben entdeckt. Wollte hoch hinaus. Er erfand sich sozusagen neu. Und wurde zu Brede Ziegler.« Jetzt klang ihr Lachen schon echter. »Stellen Sie sich das vor! Aus Freddy Johansen wurde Brede Ziegler. Man könnte meinen, er sei das schauspielerische Talent gewesen, nicht ich. Ich habe es ja mit eigenen Augen gesehen …«
Sie streckte sich und schnitt eine Grimasse, als seien ihre Beine eingeschlafen.
»Ich habe gesehen, wie er vor dem Spiegel stand und verschiedene Rollen übte. Kennen Sie diesen Woody Allen-Film? Zelig?«
Hanne nickte. Silje schüttelte den Kopf.
»So war Brede. An einem Abend bei den jungen Konservativen, feiner Pinkel mit Lodenmantel und feschem Pullover. Am nächsten im Jazzclub, und schwupp … schon war er der sensible Freak. Seine beste Rolle war die des Mannes von Welt mit künstlerischen Ambitionen. Darin ist er nach und nach richtig gut geworden. Mieser Schmierenkomödiant!«
Der Kraftausdruck kam überraschend. Er paßte nicht in den monotonen, gleichgültigen Redefluß.
Hanne Wilhelmsen fragte vorsichtig: »Hat es Ihnen denn nichts ausgemacht, daß er sich gar nicht um den Jungen kümmerte?«
Jetzt sah Thale Åsmundsen ehrlich überrascht aus.
»Ausgemacht? Mir? Wieso hätte mir das etwas ausmachen sollen? Mit Freddy Johansen war ich fertig, und Brede Ziegler hätte ich nicht mit der Zange angefaßt. Freddy war wie … kennen Sie den Narziß-Mythos?«
Sie schaute Hanne an, als habe sie Silje Sørensen aufgegeben. Hanne zuckte mit den Schultern.
»Nur vage. Das war doch der, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt hat, oder?«
»Genau. Genau so war er. Und ich wollte nicht Freddys Echo spielen. Außerdem hatte ich Idun. Sie war die einzige, die sich ehrlich über Daniels Geburt zu freuen schien. Er nannte sie Taffa – fast, noch ehe er Mama sagen konnte.«
Plötzlich sprang sie auf.
»Ich habe Hunger«, sagte sie. »Ich esse immer um diese Zeit. Nach der Vorstellung. Ja … ob ich spiele oder nicht. Heute abend habe ich frei, aber der Hunger …«
Sie lächelte knapp und stapfte barfuß in die Küche. Silje packte Hanne am Handgelenk.
»Sie müßte einen Anwalt haben, wir müßten …«
»Pst. Wir essen.«
Der Küchentisch war ebenso orangefarben wie die Wände. Thale Åsmundsen stellte eine Teekanne und drei grobe Keramiktassen hin.
»Ich will meine Zeit nicht damit verschwenden, mir Neuerungen auszudenken. Ich schätze Routine. Habe die Dinge gern so, wie sie immer schon waren.«
Silje starrte sie fasziniert an. Nicht nur die Wohnung, sondern die ganze Person wirkte wie ein Relikt aus der späten Hippiezeit. Obwohl Thale Åsmundsen ein hübsches Gesicht hatte, war sie ungeschminkt und unelegant – mit ausgebeulter Cordhose, bloßen Zehen und einem weiten indischen Batikhemd. Silje hatte sie in einer schwedischen Fernsehfassung als Fräulein Julie gesehen und konnte kaum glauben, daß sie denselben Menschen vor sich hatte.
»Wir können gut sagen, daß Idun und ich uns die Aufgabe einer Mutter geteilt haben«, erklärte Thale Åsmundsen und schlug drei Eier in eine Pfanne. »Daniel und ich essen immer Spiegeleier und trinken Kakao dazu. Das ist eine Art … na ja. Auch als Daniel noch hier gewohnt hat, war er fast ebensoviel bei ihr. Sowie ich es wagte, ihn allein aus dem Haus zu lassen, fuhr er mit der Straßenbahn in die Altstadt. Und als er krank wurde …« Sie strich sich mit dem Handrücken die Haare aus der Stirn; ihre Finger waren fettig. »… hat sie sich freigenommen, wenn ich nicht konnte. Und das war im Grunde ziemlich … praktisch?«
Sie schaute die beiden mit leicht gehobenen Augenbrauen an, als frage sie sich, ob dieses Wort gefühllos wirke.
»Aber Freddy … oder Brede Ziegler, wie er inzwischen ja hieß … an den habe ich erst gedacht, als es
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