Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
mitgebracht.«
Sie legte zwei dicke Zeitungen auf die Bank.
»Allzeit bereit«, sagte Billy T. und streichelte den Hund. »Unser Pfadfindermädel!«
Aber er setzte sich. Erst schob er die Zeitungen beiseite. Dann wandte er sich von Hanne ab. Er starrte zum Entré hinüber. Winterkahle Bäume versperrten Teile der Aussicht, aber er konnte doch erkennen, daß irgendwer nach einem langen Abend die Lichter löschte. Das Restaurant war also weiterhin geöffnet. Obwohl einer der Inhaber ermordet worden war und der andere unter Mordanklage in Untersuchungshaft saß. Billy T. schnaubte noch einmal und schaute dem Boxer zu, der jämmerlich winselnd von Busch zu Busch lief und bis in die Schwanzspitze hinein fror. Schließlich nahm er irgendeine Witterung auf, galoppierte zur Thorvald Meyers gate, bog um die Ecke und jagte durch die Grüners gate zum Sofienbergpark.
»Können wir denn nie wieder befreundet sein?«
Hanne ließ ihn ganz außen auf der Bank sitzen. Sie wäre gern näher gerückt, riß sich aber zusammen. Sie sah ihn nicht einmal an, sondern ließ ihre Frage in die Luft aufsteigen, begleitet von einer grauweißen Wolke, die bald verschwunden war. Vielleicht zuckte er mit den Schultern. Das war schwer zu sagen.
»Ich kann natürlich noch einmal um Entschuldigung bitten«, fuhr sie fort. »Aber das bringt wohl nichts. Alles, was ich zu meiner Verteidigung anführen kann, ist, daß ich einsehe, daß ich dich schlecht behandelt habe. Aber ich wollte dich nicht verletzen. Ich konnte nur nicht anders. Ich war einfach unfähig …«
Sie verstummte. Billy T. hatte nicht zugehört. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen bewegten sich lautlos und fast unmerklich, so als sei er ins Gebet vertieft.
»Hast du nie etwas getan, das du später bereut hast, Billy T.? Hast du nie jemanden im Stich gelassen? Ich meine, wirklich im Stich gelassen?«
Ihre Stimme brach. Alle Lichtquellen in ihrer Umgebung verschmolzen zu einem Sternennebel, und sie kniff die Augen zusammen. Die Tränen brannten auf ihren Wangen wie Eis.
Er gab noch immer keine Antwort. Aber seine Lippen bewegten sich nicht mehr.
»Ich bereue, Billy T. Ich bereue wirklich. Bereue so vieles. Aber ich kann die Vergangenheit nicht einfach aus meinem Leben herausschneiden und verbrennen. Sie ist vorhanden. Mit allen Dummheiten. Mit allen Gelegenheiten, wo ich Menschen verletzt habe, die mir wichtig sind. Mit allem … aller Angst. Ich habe immer solche Angst, Billy T. Ich habe solche Angst, jemand könnte …« Sie durchwühlte ihre Taschen und fand eine Packung Taschentücher. »Ich habe immer solche Angst, jemand könnte mich sehen. Alle glauben, es sei mir peinlich, Lesbe zu sein. Sie glauben, daß ich … das verstecken will. Ihr begreift nicht, daß ich immer nur Kraft brauche, um mich ganz und gar zu verstecken. Ich traue mich einfach nicht. Für mich ist es ebenso gefährlich, wenn jemand erfährt, daß ich … mir gern den Rücken kratzen lasse. Oder daß ich am allerliebsten Pfannkuchen mit Sirup und Speck esse. Das bin ich, das alles, das ist mein Leben. Meins. Meins.«
Jetzt weinte sie. Sie versuchte, sich zusammenzureißen, holte tief Luft und bohrte den Daumenfingernagel in die Handfläche ihres Handschuhs. Die Tränen strömten trotzdem.
»Scheiß drauf«, sagte sie schließlich mit harter Stimme und erhob sich. »Der Fall Ziegler ist immerhin gelöst. Deshalb wollte ich mit dir sprechen.«
Endlich sah er sie an. Langsam hob er sein Gesicht und zog sich den Schal vom Kinn. Sie fuhr zusammen, als sie seine Augen sah. Die schienen nicht in das vertraute Gesicht zu gehören, bleich und blau starrten sie sie an, als hätten sie sie nie zuvor gesehen.
»Was«, sagte er heiser, »was meinst du mit ›gelöst‹?«
Sie brauchte nur fünf Minuten, um ihm alles zu erklären. Das Ganze lag auf der Hand. Die Lösung an sich war eine zum Himmel schreiende Anklage gegen Billy T., gegen seine Ermittlungsleitung, gegen seine Versäumnisse. Hanne konnte ihm nicht mehr in die Augen schauen. Sie merkte, daß sie versuchte, die Sache zu verharmlosen, daß sie ihm Punkte zuschob, die ihm einfach nicht zustanden.
»So ist das«, sagte sie am Ende und rieb die Beine gegeneinander, vor allem aus Verlegenheit. »Wir schreiten morgen früh zur Festnahme. Oder was meinst du?«
Sie preßte sich ein Lächeln ab. Er erhob sich unsicher. Seine Bewegungen wirkten steif. Offenbar wollte er nach Hause. Nach zwei Schritten drehte er sich um.
»Du hast gefragt, ob ich
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