Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
war er noch nicht gegangen. Klaus Veierød holte den dicken Dokumentenstapel und reichte ihn am Tisch weiter.
»Hier«, sagte Hanne und zog einen Bogen heraus. »Mein Bericht über den Besuch in der Niels Juels gate. Ist dir im Badezimmer etwas aufgefallen, Severin?«
»Im Badezimmer?« Severin dachte nach und nahm seine Brille ab. »Ich … wir waren nicht im Badezimmer. Da kamen Leute vom Wachdienst und …«
»Ich war jedenfalls im Badezimmer«, fiel Hanne ihm ins Wort. »Und habe eine ungewöhnlich guteingerichtete, riesige Naßzelle vorgefunden, in der einfach nichts Interessantes aufzutreiben war. Keine Medikamente. Nur Zahnpasta, Rasiersachen. Eine Zahnbürste. Auf die komme ich noch zurück. Aber die Wand, Leute, die Wand über der Badewanne, die war alles andere als alltäglich.«
Endlich schaute Billy T. zu ihr herüber, und das versetzte ihr einen Stich. Er versuchte, seine desinteressierte, gleichgültige Miene beizubehalten. Zugleich aber gab er sich Mühe, die Stirn so heftig zu runzeln, daß seine Augen nicht zu sehen waren, und dadurch sah er aus wie ein beleidigter kleiner Bengel.
»An der Wand prangt ein prachtvolles Mosaik. Und zwar eine Miniaturkopie der Fassade der Moschee im Åkebergvei. Eine absolut perfekte Kopie. Ich habe ein Foto gemacht und beides verglichen. Das Badezimmermosaik ähnelt dem an der Moschee wie ein Ei dem anderen. Soweit ich das beurteilen kann, zumindest.«
»Ja und?« Karl Sommarøy riß den Mund auf und umschloß sein winziges Kinn mit Daumen und Zeigefinger.
»Richtig«, sagte Karianne leise; sie schien sich nach ihrem heftigen Ausbruch ein wenig gefaßt zu haben. »Was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Vielleicht nichts. Vielleicht ist es ein Zufall, daß der Mann nur fünfzig Meter vom Original seines Badezimmerbildes entfernt umgebracht worden ist. Aber andererseits: vielleicht auch nicht.« Sie stemmte die Handflächen auf die Tischplatte und redete weiter; ihr Ton war jetzt anders, intensiver, werbender. »Brede Ziegler war ein Prahlhans. Ein eitler, seichter und überaus tüchtiger Prahlhans. Hätte ich ihn zu seinen Lebzeiten besucht, dann hätte ich diese Badezimmerwand einfach nur angestaunt. Ich hätte mich in Begeisterungsstürmen darüber ergangen. Und vielleicht hat das ja wirklich jemand getan. Vielleicht wollte er das Original vorführen, weil das …«
Jetzt hatte sie die anderen wieder verloren. Karianne hatte die Augen gesenkt, Severin seine Brille endgültig weggelegt. Klaus warf den Kugelschreiber hin und starrte auf die Uhr.
»Gut«, sagte Hanne Wilhelmsen und versuchte ein Lächeln, spürte aber, daß nur eine unschöne Grimasse dabei herauskam. »Lassen wir das erst mal. In der Wohnung ist mir allerdings noch etwas aufgefallen. Severin, was ist deiner Meinung nach das auffälligste daran?«
»Daß sie so elegant ist, natürlich. Unpersönlich, aber elegant. Der Typ war krankhaft promifixiert. Und nicht sonderlich in seine Frau verliebt.« Er grinste breit. »Jedenfalls durfte sie in der Bude nicht gerade viele Spuren hinterlassen.«
»Genau!« Hanne kletterte wieder auf die Stuhllehne, wippte hin und her und tippte mit den Stiefelspitzen gegen die Tischkante. »Nur eine Zahnbürste. Kein Parfüm, kein Lady Shave. Ein nicht bezogenes Bett, sorgfältig gemacht wie in einem Hotel, in dem die Gäste erst in einer Woche erwartet werden. Vilde hat, unseren Unterlagen zufolge, um fünf Uhr morgens vom Tod ihres Mannes erfahren – sie müßte noch das Bett abgezogen haben, ehe sie zum Bahnhof gerannt ist, um den ersten Zug nach Hamar zu erwischen.«
»Du fällst bestimmt gleich um«, sagte Silje Sørensen. »Es macht mich ganz nervös, dich so da sitzen zu sehen.«
»Wie habt ihr Vilde eigentlich ausfindig gemacht, Karianne?«
»Ich habe zuerst die Privatnummer angerufen. Da meldete sich niemand. Dann habe ich es mit ihrer Handynummer probiert. Sie war gleich am Apparat, klang ziemlich schlaftrunken. Ich habe gesagt, daß ich gern mit ihr über eine ernste Angelegenheit sprechen würde und daß wir in einer halben Stunde in der Niels Juels gate sein könnten. Dann mußte ich erst noch einen Geistlichen holen, und deshalb hat es wohl eher eine Stunde gedauert, bis wir uns auf den Weg machen konnten. Als wir hinkamen, war sie hellwach und hatte sich angezogen.«
»Und warum hatte sie beim ersten Anruf nicht reagiert?«
Kariannes Blick irrte umher. »Vielleicht hat sie das Klingeln nicht gehört. Sie war abends in der Kneipe gewesen.
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