Das Letzte Plädoyer: Roman
unvermeidlichen Klemmbrett alle Gefangenen in einen großen, rechteckigen Raum von der Größe eines Basketballfeldes. Darin standen sechs lange Resopal-Tische mit ungefähr zwanzig Plastikstühlen zu beiden Seiten. Rasch füllten sich die Stühle mit Gefangenen, bis so gut wie jeder Platz belegt war.
»Wo soll ich mich hinsetzen?«, fragte Danny.
»Wo Sie wollen«, meinte ein Beamter. »Ist völlig egal.«
Danny fand einen freien Stuhl und beobachtete stumm, was um ihn herum vor sich ging.
»Du bist neu«, sagte der Mann, der links neben ihm saß.
»Woher weißt du das?«
»Weil ich schon seit acht Jahren bei der Fließband-Gang bin.«
Danny besah sich den kleinen, drahtigen Mann genauer. Seine Haut war so weiß wie ein Laken. Er hatte wässrigblaue Augen und kurzgeschnittenes, helles Haar. »Liam«, verkündete er.
»Danny.«
»Bist du Ire?«, fragte Liam.
»Nein, ich bin ein Cockney, nur ein paar Meilen von hier geboren. Aber mein Großvater war Ire.«
»Das reicht mir.« Liam grinste.
»Was passiert jetzt?«, wollte Danny wissen.
»Siehst du unsere Kameraden, die am unteren Ende der Tische stehen? Das sind die Austeiler. Sie stellen einen Eimer vor jeden von uns. Und siehst du die Plastiktüten am anderen Ende der Tische? Die werden in der Mitte durchgereicht. Und was immer in unserem Eimer ist, werfen wir dann da rein.«
Noch während Liam sprach, ertönte eine Hupe. Gefangene mit gelben Armbändern stellten braune Plastikeimer vor jeden sitzenden Mitgefangenen. In Dannys Eimer befanden sich Teebeutel. Er sah in den Eimer von Liam, in dem kleine Portionsstücke Butter lagen. Die Plastiktüten wanderten langsam von einem Gefangenen zum anderen und ein Päckchen Reis-Cracker, die Butter, ein Teebeutel und winzige Salz-, Pfeffer- und Marmeladebehälter wurden nacheinander in jede Tüte geworfen. Wenn eine Tüte das Tischende ereichte, legte ein weiterer Gefangener sie auf ein Tablett und trug sie in einen Nebenraum.
»Die Tüten werden in andere Gefängnisse geschickt«, erläuterte Liam. »Irgendjemand hat nächste Woche um diese Zeit ein Frühstück.«
Schon nach wenigen Minuten langweilte sich Danny, und am Ende des Morgens hätte er sicher Selbstmordgedanken gehegt, hätte Liam nicht endlos palavert – darüber, wie man sich einen besseren Job verdienen konnte, oder wie man in Einzelhaft endete. Und alle, die in Hörweite saßen, brachen regelmäßig in Gelächter aus.
»Hab ich dir schon erzählt, wie die Wärter eine Flasche Guinness in meiner Zelle gefunden haben?«, fragte er.
»Nee«, erwiderte Danny pflichtschuldig.
»Natürlich wurde Meldung erstattet, aber am Ende konnten sie mich nicht dafür belangen.«
»Warum nich?«, fragte Danny, und obwohl alle anderen am Tisch die Geschichte schon oft gehört hatten, waren sie ganz Ohr.
»Ich hab dem Beamten erklärt, dass ein Schließer mir die Flasche in meiner Zelle untergeschoben haben musste, um mich dranzukriegen.«
»Weil du Ire bist?«, fragte Danny.
»Nein, das hatte ich schon einmal zu oft probiert, darum musste ich mir was Originelleres einfallen lassen.«
»Und das war?«, wollte Danny wissen.
»Ich sagte, der Schließer hätte es auf mich abgesehen, weil er schwul wäre und ein Auge auf mich geworfen hätte, aber ich hätte ihn immer abgewiesen.«
»Und war er schwul?«, fragte Danny.
Mehrere Gefangene lachten laut auf.
»Natürlich nicht, du Matschbirne«, sagte Liam. »Aber das Letzte, was der Direktor will, ist eine Untersuchung der sexuellen Vorlieben bei einem Wärter. Das bedeutet bergeweise Papierkram, während der Schließer bei vollem Lohn suspendiert werden muss. Steht alles in den Gefängnisvorschriften.«
»Und dann?«
»Der Direktor ließ die Anklage fallen, und der Schließer ward in meinem Block nie wieder gesehen.«
Zum ersten Mal, seit er im Gefängnis war, musste Danny lachen.
»Schau jetzt nicht hin«, flüsterte Liam, als ein neuer Eimer mit Teebeuteln vor Danny abgestellt wurde. Liam wartete, bis der Gefangene mit dem gelben Armband ihre leeren Eimer mitgenommen hatte, bevor er sagte: »Wenn du diesem Mistkerl je begegnest, dann mach die Biege.«
»Warum?« Danny sah zu dem schmalgesichtigen Mann mit dem rasierten Schädel und den tätowierten Armen, der mit einem Stapel leerer Eimer gerade den Raum verließ.
»Er heißt Kevin Leach – leider ein Ire! Geh ihm ja aus dem Weg«, riet Liam. »Er macht Ärger – nichts als Ärger.«
»Was’n für Ärger?«, fragte Danny, als Leach wieder an
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