Das Letzte Protokoll
Haustelefon funktioniert aber noch. Nur das Festland kann Misty nicht anr u fen.
Als sie unter der Teppichkante nachsieht, ist der U m schlag mit ihrem gesammelten Trinkgeld nicht mehr da.
Tabbis Chrysolith-Ring. Das Geburtstagsgeschenk von ihrer Großmutter.
Die Warnung, die Misty ignoriert hat: »Verlass diese Insel, b e vor du es nicht mehr kannst.«
All die versteckten Botschaften, die die Leute hinterla s sen, um nicht vergessen zu werden. Wie wir alle mit der Zukunft zu kommunizieren versuchen. Maura und Constance.
»Du wirst sterben, wenn sie mit dir fertig sind.«
Kein Problem, in Zimmer 313 hineinzukommen. Misty ist Zimmermädchen gewesen, Misty Wilmot, Königin der ve r dammten Sklaven. Sie weiß, wo der Hauptschlüssel ist. 313 ist ein Doppe l zimmer mit Ozeanblick. Möbliert wie alle anderen Gästezimmer auch. Ein Doppelbett. Ein Schreibtisch. Ein Stuhl. Eine Kommode. Auf dem G e päckständer der offene Koffer eines Sommerme n schen. Hosen und geblümte Seide im Schrank. Ein feuchter Bikini über der Vorhangstange der Dusche.
Nur um das festzuhalten: Die Tapezierarbeit hier in Zimmer 313 ist die beste, die Misty je gesehen hat. Und auch die Tapete selbst ist nicht übel, pastellgrüne Streifen mit Reihen rosa Zent i folien dazwischen. Ein Muster, das schon alt ausgesehen hat, als es aus der Druckerei kam. Mit Tee bearbeitet, damit es von Alter vergilbt aussieht.
Aber da stimmt was nicht: Das ist einfach zu perfekt. F u genlos geklebt, schnurgerade rauf und runter. Die Kanten zu sauber g e fugt. Das kann unmöglich Peters Arbeit sein.
Deine Arbeit. Lieber geliebter fauler Peter, du hast niemals i r gendeine Kunst ernst genommen.
Was immer Peter hier hinterlassen, in dieses Zimmer eing e mauert hat, als er die Tür hinter Gipsplatten hat ve r schwinden lassen: Jetzt ist es nicht mehr da. Peters kleine Zeitkapsel oder Zeitbombe: Die Leute von Waytansea Island haben alles ausr a diert. So wie Mrs. Terrymore die Botschaften in den Büchern der Bibliothek ausradiert hat. So wie man die Häuser auf dem Fes t land in Brand g e steckt hat. Das Werk des OFF.
So wie Angel Delaporte jetzt tot ist. Im Bett erstochen, im Schlaf.
Nur um das festzuhalten: Die Sommerleute könnten jederzeit h e reinkommen. Um Misty hier vorzufinden, mit einem blutigen Messer in der Hand.
Mit der Sägeklinge ritzt Misty einen Tapetensaum auf und reißt einen Streifen ab. Mit der Messerspitze entfernt sie noch einen Streifen. Als sie den dritten Streifen von der Wand zieht, kann sie lesen: »... liebe Angel Delaporte, und es tut mir Leid, aber ich habe nicht vor, für . .. zu sterben . ..«
Und nur um das festzuhalten: Das war es eigentlich nicht, was sie hier zu finden gehofft hatte.
24. August
... und drei viertel
Die ganze Wand ist zerfetzt, die alten Zentifolien und blassgr ü nen Streifen sind großflächig abgezogen, und jetzt ist zu lesen, was Peter den Leuten zu sagen hatte.
Was du ihnen zu sagen hattest.
»Ich liebe Angel Delaporte, und es tut mir Leid, aber ich habe nicht vor, für unsere Sache zu sterben.« Rundherum an die Wä n de geschrieben, steht da: »Ich werde mich nicht von euch töten lassen, wie ihr seit Gordon Kincaid alle Ehemänner von Maleri n nen get ö tet habt.«
Das Zimmer ist übersät mit Tapetenfetzen. Überstäubt von Kleisterpulver. Man hört Stimmen auf dem Flur, und Misty steht wie erstarrt in dem verheerten Zimmer da. Wartet, dass die Somme r leute zur Tür hereinkommen.
An der Wand steht geschrieben: »Unsere Traditionen interessi e ren mich nicht mehr.«
Da steht: »Ich liebe Misty Marie nicht«, steht da, »aber sie hat es nicht verdient, gefoltert zu werden. Ich liebe unsere Insel, aber wir müssen einen neuen Weg finden, unsere Lebensgewohnhe i ten zu bewahren. Wir können die Leute nicht mehr so ausnu t zen.«
Da steht: »Das ist ritueller Massenmord, und ich kann das nicht mehr hinnehmen.«
Die Sachen der Sommerleute, Koffer und Kosmetika und So n nenbrillen, alles ist begraben. Begraben unter Bergen von Tap e tenfetzen.
»Wenn ihr das hier findet«, steht da, »bin ich längst weg. He u te Abend reise ich mit Angel ab. Wenn ihr das hier lest, tut mir Leid, aber dann ist es schon zu spät. Tabbi wird eine bessere Z u kunft haben, wenn ihre Generation sich allein durchschlagen muss.«
Unter den Tapetenresten steht geschrieben: »Um Misty tut es mir aufrichtig Leid.«
Du hast geschrieben: »Es stimmt, dass ich sie nie geliebt habe, aber ich hasse sie nicht genug, um
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