Das letzte Relikt
dass die Hyazinthenfrau ganz in der Nähe stand und eine Zeichnung betrachtete. Die Frau, die ihr das Bild zeigte, war die Frau, die bei Carter lebte.
Elizabeth
lautete der Name, den er auf dem Briefkasten gelesen hatte.
Sein Netz war gerade sehr viel stärker geworden.
Während er sie beobachtete und feststellte, dass sie tatsächlich denselben unterschwelligen Geruch an sich hatten, kam ein kleiner Mann auf ihn zu, sehr eifrig, sehr freundlich, und streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen«, sagte der Mann, »aber ich bin Richard Raleigh, der Eigentümer der Galerie.«
Arius streckte seine Hand aus und nickte.
»Und Sie sind?«, bohrte Raleigh nach.
»Mein Name ist Arius.«
»Höre ich da einen Akzent?«, sagte Raleigh und lächelte breit. »Gewöhnlich bin ich sehr gut darin, ihn genauer zu bestimmen. Aber bei Ihnen komme ich nicht darauf, und wenn es um mein Leben ginge. Darf ich fragen, woher Sie kommen?«
»Von weit her«, erwiderte Arius.
Raleigh nickte und wusste genug, um nicht weiter zu drängen. Sein ganzes Leben lang hatte er mit betuchten, selbst mit adligen Ausländern zu tun gehabt, und er wusste, wann er sich zurückhalten musste. Manche von ihnen versuchten, wie ganz gewöhnliche Leute zu wirken, doch Raleigh pickte sie aus einer Menschenmenge auf hundert Schritt Entfernung heraus. Er musste allerdings zugeben, dass dieser Knabe hier noch ungewöhnlicher war als die meisten. Er war etwa einen Meter fünfundachtzig groß, trug eine Sonnenbrille, die er offensichtlich nicht abzunehmen gedachte, und war teuer, aber unaufdringlich gekleidet. Er trat auf wie ein königlicher Machthaber. Zurückgeworfener Kopf, breite Schultern, modisch langes Haar, das sich genau über dem Hemdkragen kräuselte. Nur mit Mühe konnte Raleigh den Blick von ihm abwenden.
»Gestatten Sie mir, Ihnen ein wenig über unsere Galerie zu erzählen. In diesem Raum werden Sie die meisten Werke in Öl sowie den Großteil der Aquarelle finden, die wir momentan zum Verkauf anbieten. Aber in der oberen Etage haben wir noch eine Galerie, um bestimmte Arbeiten in privaten Schauen zeigen zu können. Zumeist handelt es sich dabei um Zeichnungen und Drucke der Alten Meister.«
Arius sagte nichts, trat jedoch näher an eines der Gemälde heran, eine Szene von Mariä Verkündigung aus dem sechzehnten Jahrhundert. Mit den langgestreckten Formen und verdrehten Perspektiven war es ein typisches Beispiel des Manierismus.
»Das ist eine besonders ausgezeichnete Arbeit«, sagte Raleigh, »die erst kürzlich auf den Markt kam. Sie befand sich seit dem späten sechzehnten Jahrhundert im Besitz einer einzigen österreichischen Familie. Das Stück wird Fra Bartolommeo zugeschrieben. Sind Sie mit seinem Werk vertraut?«
Mit geneigtem Kopf betrachte Arius das Gemälde, als versuchte er, die veränderte Perspektive zu kompensieren. »Nein.«
»Nicht viele Menschen kennen seine Arbeiten«, beeilte Raleigh sich zu sagen, stets eifrig bemüht, potentiellen Kunden zu versichern, das, was sie nicht wussten, sei ohnehin nur ausgewiesenen Experten bekannt. »Doch falls Sie mehr darüber erfahren möchten, unsere Kunsthistorikerin, die jedes Stück unserer Sammlung genauestens kennt, ist heute zufällig im Hause.« Er deutete auf Elizabeth, die daraufhin in Arius’ Richtung blickte.
Sie war ziemlich schön, dachte Arius. Sogar noch schöner als die Hyazinthenfrau.
»Beth ist im Augenblick mit einer anderen Kundin beschäftigt«, sagte Raleigh, »aber ich werde Sie mit ihr bekannt machen, sobald sie frei ist.« Raleigh wusste, dass Beth es irgendwie schaffte, mühelos das Vertrauen neuer Kunden zu gewinnen … und sie, mit Ausnahme von Bradley Hoyt, dem jungen Dot-com-Multimillionär, zu einem Kauf zu bewegen.
»Ich möchte sie gerne jetzt kennenlernen«, sagte Arius.
Jetzt? Raleigh wusste nicht sofort, was er tun sollte. Beth beriet gerade Kimberly Metzger, eine seiner meistgeschätzten Kundinnen. Erst letzten Monat hatte er ihr ein flämisches Porträt für fast eine halbe Million Dollar verkauft. Er konnte die beiden Frauen jetzt schlecht unterbrechen. Aber als er zu ihnen hinüberschaute, stellte er fest, dass Kimberly dem geheimnisvollen Fremden bereits mehr Aufmerksamkeit schenkte als Beths Ausführungen.
»Habe ich einen Rivalen für dieses Gemälde?«, fragte sie jetzt neckend.
»Nein, nein, ganz und gar nicht«, erklärte Raleigh, »aber wenn Sie gestatten, würde ich Sie gerne einen Moment
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