Das letzte Revier
verschränkt die Arme und sieht mich durchdringend an. »Ich mag ihn nicht. Mich wundert, dass Sie ihn mochten.«
»Hören Sie«, sage ich, und meiner Stimme ist anzuhören, dass ich mich geschlagen gebe, »Jay und ich waren für höchsten s vierundzwanzig Stunden intim in Paris.«
»Sie haben den Sex initiiert. Dann stritten sie beide am selben Abend in einem Restaurant, und Sie stürmten hinaus. Sie waren eifersüchtig, weil er eine andere Frau ansah -«
»Was?«, platze ich heraus. »Das hat er gesagt?« Sie sieht mich schweigend an. Ihr Tonfall ist der gleiche, wie sie ihn auch gegenüber Chandonne, dem grauenhaften Monster, angeschlagen hat. Jetzt befragt sie mich, eine grauenhafte Person. So fühle ich mich. »Es hatte nichts mit einer anderen Frau zu tun«, antworte ich ihr. »Welcher anderen Frau? Ich war nicht eifersüchtig. Er bedrängte mich, wurde ungeduldig, und ich hatte genug.«
»Das Cafe Runtz in der Rue Favard. Sie machten eine ziemliche Szene«, fährt sie mit meiner Geschichte fort oder vielmehr mit Talleys Version davon.
»Ich habe keine Szene gemacht. Ich bin aufgestanden und rausgegangen, Punkt.«
»Von dort kehrten Sie zum Hotel zurück, stiegen in ein Taxi und fuhren auf die Ile Saint-Louis, wo die Familie Chandonne lebt. Sie gingen im Dunkeln herum, starrten das Haus der Chandonnes an und entnahmen der Seine eine Wasserprobe.« Was sie gerade gesagt hat, jagt elektrische Schocks durch alle meine Nervenzellen. Unter meiner Bluse bricht mir der kalte Schweiß aus. Ich habe Jay nie erzählt, was ich tat, nachdem ich das Restaurant verlassen hatte. Woher weiß Berger das alles? Woher weiß Jay es, wenn er es war, der es ihr erzählt hat? Marino. Wie viel hat Marino ihr erzählt?
»Was war der eigentliche Grund, warum Sie zum Haus der Chandonnes sind? Was glaubten Sie, dass Sie dort in Erfahrung bringen könnten?«, fragt Berger.
»Wenn ich wüsste, was ich in Erfahrung bringen könnte, müsste ich nicht nachforschen«, erwidere ich. »Was die Wasserprobe angeht, müssten Sie aus den Laborberichte n wissen, dass wir Diatomeen fanden, mikroskopisch kleine Algen, und zwar auf der nicht identifizierten Leiche aus dem Hafen von Richmond - Thomas' Leiche. Ich wollte eine Wasserprobe aus der Nähe des Chandonne-Hauses, um zu überprüfen, ob sich dort in der Seine derselbe Typ Diatomen findet. Und so war es. Die Süßwasserdiatomeen stimmten mit denen überein, die wir an der Innenseite der Kleidung an Thomas' Leiche fanden, aber das spielt alles keine Rolle mehr. Sie werden Jean-Baptiste nicht den Prozess machen wegen des Mordes an seinem mutmaßlichen Bruder, weil der sich aller Wahrscheinlichkeit nach in Belgien ereignet hat. Das haben Sie bereits klar gemacht.«
»Aber die Wasserprobe ist wichtig.«
»Warum?«
»Alles, was passiert ist, sagt mir etwas über den Angeklagten und führt mich möglicherweise auf die Spur des Motivs. Und wichtiger noch zu Identität und Intention.«
Identität und Intention. Diese Worte rattern durch meinen Kopf wie ein Zug. Ich bin Anwältin. Ich weiß, was sie bedeuten. »Warum haben Sie die Wasserprobe entnommen? Sammeln Sie routinemäßig Beweise, die nicht direkt mit einer Leiche zu tun haben? Wasserproben zu entnehmen fällt nicht direkt in Ihre Zuständigkeit, vor allem nicht in Frankreich. Warum sind Sie überhaupt nach Frankreiche geflogen? Ist das nicht etwas ungewöhnlich für eine Gerichtsmedizinerin?«
»Interpol wollte, dass ich komme. Sie haben selbst darauf hingewiesen.«
»Jay Talley wollte, dass Sie kommen.«
»Er repräsentiert Interpol. Er ist der Verbindungsmann de s ATF.«
»Ich frage mich, warum er Sie wirklich nach Frankreich geholt hat.« Sie hält inne, damit die eiskalte Furcht mein Gehirn erreichen kann. Mir kommt in den Sinn, dass Jay mich eventuel l manipuliert hat aus Gründen, die ich vielleicht nicht werde ertragen können. »Talley hat viele Schichten«, fügt Berger kryptisch hinzu »Wenn Jean-Baptiste der Prozess in Richmond gemacht würde, dann ist zu fürchten, dass wahrscheinlich die Verteidigung und nicht die Anklage Talley benutzen würde. Möglicherweise um Sie als Zeugin zu diskreditieren.«
Mein Nacken wird heiß. Mein Gesicht brennt. Angst wütet in mir wie ein Schrapnell, zerreißt jede Hoffnung, die ich noch hatte, dass genau so etwas nicht passieren würde. »Ich möchte Sie etwas fragen.« Ich bin maßlos empört, kann kaum meine Stimme beherrschen. »Gibt es irgendetwas über mein Leben, was Sie nicht
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