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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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dich respektiere«, sagt Lucy. »Himmel. Niemand hier respektiert dich weniger als zuvor, Tante Kay. Aber du brauchst Hilfe. Dieses eine Mal musst du dir helfen lassen. Mit dieser Sache wirst du nicht allein fertig, und vielleicht musst du dir deinen Stolz ein bisschen abschminken und zulassen, dass wir dir helfen. Ich bin nicht mehr zehn. Ich bin achtundzwanzig, okay? Ich bin keine Jungfrau mehr. Ich war FBI-Agentin, ich war ATF-Agentin, und ich habe verdammt viel Geld. Ich könnte jede Agentin werden, die ich werden will.« Ihre Wunden klaffen vor meinen Augen. Es macht ihr etwas aus, vom Dienst suspendiert worden zu sein; natürlich tut es das. »Und jetzt bin ich meine eigene Agenti n und mache alles so, wie ich es will.«
    »Ich habe heute Abend gekündigt«, sage ich zu ihr. Ein verblüfftes Schweigen erfüllt den Raum.
    »Was hast du gesagt?«, fragt mich Marino. Er steht vor dem Feuer und trinkt. »Du hast was gemacht?«
    »Ich habe es dem Gouverneur gesagt«, erwidere ich, und eine unerklärliche Ruhe überkommt mich. Es ist gut, dass ich selbst etwas getan habe, statt darauf zu warten, dass mir erneut etwas angetan wird. Durch die Kündigung werde ich vielleicht weniger zu einem Opfer, wenn ich mir endlich eingestehe, dass ich ein Opfer bin. Vermutlich bin ich eins, und meine einzige Chance auf ein Comeback besteht darin, zu beenden, was Chandonne angefange n hat: mein Leben, so wie es bisher war, aufzugeben und von vorn zu beginnen. Was für ein seltsamer und erstaunlicher Gedanke. Ich erzähle Marino, McGovern und Lucy von meiner Unterhaltung mit Mike Mitchell.
    »Moment mal.« Marino sitzt auf dem Kaminvorsprung. Es ist bald Mitternacht, und Anna verhält sich so ruhig, dass ich ihre Anwesenheit im Haus vergessen habe. Vielleicht ist sie ins Bett gegangen. »Heißt das, dass du keine Fälle mehr bearbeiten kannst?«, fragt mich Marino.
    »Überhaupt nicht«, sage ich. »Ich leite die Gerichtsmedizin so lange, bis der Gouverneur etwas anderes beschließt.« Niemand fragt mich, was ich mit dem Rest meines Lebens vorhabe. Es ist nicht gerade sinnvoll, sich wegen einer fernen Zukunft zu sorgen, wenn die Gegenwart in Trümmern liegt. Ich bin dankbar, dass sie mich nicht fragen. Wahrscheinlich sende ich die üblichen Signale aus, dass ich nicht gefragt werden will. Die Leute spüren, wann sie besser schweigen, und wenn nicht, lenke ich ihr Interesse ab, und sie merken nicht einmal, dass ich sie manipuliert habe, damit sie nicht nach Dingen fragen, die ich lieber für mich behalte. Dieses Manöver perfektionierte ich in sehr jungen Jahren, als ich nicht wollte, dass sich mein e Mitschüler danach erkundigten, ob mein Vater noch immer krank war, ob er jemals wieder gesund werden würde, wie es war, wenn der eigene Vater starb. Ich war darauf konditioniert, nichts zu sagen, und ich war darauf konditioniert, nicht zu fragen. Die letzten drei Jahre seines Lebens verbrachten wir in permanenter Verdrängung, auch er, vor allem er. Er war ähnlich wie Marino, beide italienische Machos, die zu glauben scheinen dass sich ihr Körper nie von ihnen trennen wird, gleichgültig wie krank sie sind oder wie sehr sie außer Form geraten. Ich stelle mir meinen Vater vor, während Lucy, Marino und McGovern darüber reden, wie sie planen, mir zu helfen, was sie bereits in die Wege geleitet haben, darunter das Ausleuchten von Vergangenheiten und alles Mögliche, was das Letzte Revier zu bieten hat. Ich höre ihnen nicht zu. Ich erinnere mich an meine Kindheit, an das dicke Gras in Miami, an die vertrockneten Insektenhülsen und den Zitronenbaum in unserem kleinen Garten hinter dem Haus. Mein Vater zeigte mir, wie man Kokosnüsse mit einem Hammer und einem Schraubenzieher aufschlägt, und ich verbrachte Stunden damit, das süße weiße Fleisch von der harten haarigen Schale zu lösen, und er amüsierte sich dabei, mich bei meinen verbissenen Anstrengungen zu beobachten. Das Kokosnussfleisch kam in den Kühlschrank, niemand aß es jemals, auch ich nicht. An heißen Sommersamstagen holte mein Vater aus dem Lebensmittelladen für Dorothy und mich hin und wieder große Blöcke Eis. Wir hatten ein kleines aufblasbares Schwimmbecken, das wir mit Wasser füllten, und meine Schwester und ich setzten uns auf die Eisblöcke, ließen uns von der Sonne versengen und froren uns dabei den Hintern ab. Wir sprangen aus dem Becken, um wieder aufzutauen, dann setzten wir uns erneut auf die glitschigen, eiskalten Throne wie Prinzessinnen, während

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