Das letzte Revier
als wäre das seine Vorstellung von einem geschmacklosen, morbiden Scherz. Was will er damit sagen? Dass es sich um mein Weihnachtsgeschen k handelt? Oder ist er so dickfellig, dass er nicht mehr an die Akte gedacht hat, als er die Tasche umstandslos unter den Baum stellte? Er drängt sich an mir vorbei, entsaftet Zitronenhälften mit der elektrischen Zitruspresse und wirft sie dann in die Spüle.
»Also, nachdem niemand mit mir trinkt, trinke ich eben allein«, sagt er. »He!«, ruft er, als wären wir nicht alle im selben Raum wie er. »Hat jemand dran gedacht, Meerrettich zu kaufen?« Anna sieht mich an. Schlechte Laune macht sich breit, in der Küche scheint es dunkler und kälter zu werden. Ich bin geladen. Am liebsten würde ich Marino anschreien, aber ich halte mich zurück. Es ist Weihnachten, sage ich mir immer wieder. Es ist Weihnachten. Marino nimmt einen langen Holzlöffel und rührt in dem Krug, während er eine grauenhafte Menge des schwarzgebrannten Alkohols hineinschüttet.
»Würg.« Lucy schüttelt den Kopf. »Nimm zumindest Grey Goose.«
»Ich werde auf keinen Fall französischen Wodka trinken.« Der Löffel klappert, während er rührt und ihn dann gegen den Rand des Krugs schlägt. »Französischer Wein, französischer Wodka. He. Was ist aus den guten italienischen Sachen geworden?« Er gibt eine übertriebene Version eines Italo-New-Yorker-Akzents zum Besten. »Was ist nur aus uns geworden?«
»An der Scheiße, die du da zusammenmixt, ist nichts Italienisches«, sagt Lucy zu ihm, als sie sich ein Bier aus dem Kühlschrank holt. »Wenn du das alles trinkst, wirst du morgen früh mit Tante Kay arbeiten müssen. Nur dass du auf ihrem Tisch liegen wirst.«
Marino gießt sich ein Glas voll mit seinem gefährlichen Gebräu. »Da fällt mir etwas ein«, sagt er zu niemandem im Besonderen. »Wenn ich sterbe, wird sie mich nicht aufschneiden.« Als würde ich nicht direkt neben ihm stehen. »Das ist abgemacht.« Er schenkt sich das zweite Glas ein, und mittlerweile stehen wir alle reglos da und starren ihn an. »Da s macht mir schon seit zehn verdammten Jahren Sorgen.« Ein weiterer Schluck. »Verdammt, das Zeug brennt bis in die Zehen. Ich will nicht, dass sie mich auf einen dieser verdammten Stahltische knallt und mich ausnimmt, als wäre ich ein verdammter Fisch. Und mit den Mädchen habe ich auch einen Deal gemacht.« Er meint meine Mitarbeiterinnen in der Verwaltung. »Meine Fotos werden nicht rumgezeigt. Glaubt bloß nicht, ich wüsste nicht, was da passiert. Sie vergleichen die Länge der Schwänze.« Er stürzt ein halbes Glas hinunter und wischt sich mit der Hand über den Mund. »Hab's selbst gehört. Vor allem Clitta.« Ein vulgäres Wortspiel mit Cletas Namen.
Er will wieder nach dem Krug greifen, aber ich strecke den Arm aus, um ihn aufzuhalten, und meine Wut verschafft sich in harten Worten Luft. »Jetzt reicht's. Was zum Teufel ist bloß in dich gefahren? Du kommst hier schon betrunken an und säufst auch noch weiter. Leg dich schlafen, Marino. Anna hat bestimmt noch ein freies Bett für dich. Du fährst nicht mehr Auto, und wir legen hier im Augenblick keinen Wert auf dich.«
Er wirft mir einen trotzigen, spöttischen Blick zu und hebt erneut das Glas. »Zumindest bin ich ehrlich«, entgegnet er mir. »Ihr könnt so tun, als wär's ein verdammt schöner Tag, nur weil Weihnachten ist. Na und? Lucy hat gekündigt, damit man sie nicht rausschmeißt, weil sie so eine superschlaue Lesbe ist.«
»Hör auf, Marino«, warnt Lucy ihn.
»McGovern hat gekündigt, und ich weiß nicht, was ihr Deal ist.« Er deutet mit dem Finger auf sie und spielt darauf an, dass sie eventuell zu Lucys Fraktion gehört. »Anna muss aus ihrem eigenen Haus ausziehen, weil du da bist, und gegen dich wird wegen Mordes ermittelt, und jetzt hast du auch noch gekündigt. Kein Wunder, und wir werden ja sehen, ob dich der Gouverneur halten wird. Als Beraterin. Ja.« Er lallt und schwankt mitten in der Küche, sein Gesicht ist rot gefleckt. »So viel dazu. Wer bleibt also übrig? Ich.« Er knallt das Glas auf die Arbeitsfläche und marschiert aus der Küche, stößt dabei gegen eine Wand , verrückt ein Bild und torkelt schließlich ins Wohnzimmer. »Meine Güte.« McGovern atmet lange aus. »Verdammter Arsch«, sagt Lucy. »Die Akte.« Anna schaut ihm nach. »Die ist in ihn gefahren.«
Marino liegt komatös betrunken auf der Wohnzimmercouch. Nichts dringt zu ihm durch. Er rührt sich nicht, aber sein Schnarchen sagt
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