Das letzte Revier
jetzt vorhast, Lucy.«
»Eigentlich war das bei dir von Anfang an so«, sagt McGovern zu meiner Nichte. »Deswegen hast du's auch nicht lange beim FBI ausgehalten.«
Lucy ist nicht gekränkt. Sie hat endlich akzeptiert, dass sie anfangs Fehler ge macht hat, der größte war ihre Affäre mit Carrie Grethen. Sie nimmt es dem FBI nicht länger übel, dass es sie kaltstellte, bis sie schließlich kündigte. Ich drücke ein Stück Teig mit der Hand flach und drehe es durch die Maschine. »Ich frage mich, ob Benton seiner geheimnisvollen Akte den Namen gegeben hat, weil er wusste, dass Das letzte Revier - und damit meinte er uns eines Tages in seinem Fall ermitteln würden«, sage ich. »Dass wir diejenigen sind, wo er enden würde, weil was immer mit den Drohbriefen und Anrufen in Gang gesetzt wurde, mit seinem Tod nicht vorbei wäre.« Ich lasse den Teig mehrmals durch die Maschine laufen, bis ich einen perfekten Pastastreifen habe, den ich auf ein Geschirrtuch lege. »Er wusste es. Irgendwie wusste er es.«
»Irgendwie wusste er immer alles.« Lucys Miene spiegelt tiefe Traurigkeit wider.
Benton ist in der Küche. Ich spüre ihn, während ich Weihnachtspasta mache und wir darüber sprechen, wie sein Geist arbeitete. Er war sehr intuitiv. Er dachte immer weit voraus. Ich kann mir vorstellen, wie er eine Zukunft nach seinem Tod vor sich sah und wie er sich seinerseits unsere Reaktion vorstellte, wenn wir zum Beispiel in seiner Tasche auf eine Akte stoßen würden. Benton wusste, dass ich, sollte ihm etwas zustoßen - und das fürchtete er eindeutig -, in seiner Aktentasche nachschauen würde, was ich auch tat. Was er nicht voraussah, war, dass Marino die Tasche als erster in die Hand bekam und eine Akte herausnahm, von der ich erst jetzt erfahren habe.
Gegen Mittag hat Anna ihren Wagen gepackt, und auf den Arbeitsflächen in ihrer Küche liegt Pasta für Lasagne. Auf dem Herd köchelt Tomatensauce. Parmesankäse und gealterter Asagio sind gerieben in einer Schüssel, Mozzarella liegt in ein Tuch gewickelt und gibt etwas von seiner Feuchtigkeit ab. Das Haus riecht nach Knoblauch und Holz, Weihnachtslichter brennen, während Rauch durch den Kamin abzieht, und als Marino lautstark und taktlos wie immer ankommt, findet er uns alle in der besten Stimmung seit langem. Er trägt Jeans und ein Jeanshemd, hat Taschen voller Geschenke und eine Flasche schwarzgebrannten Virginia Lightning dabei. In einer Tasche entdecke ich unter Geschenken die Ecke einer Aktenmappe, und mein Herz setzt für einen Schlag aus. »Ho! Ho! Ho!«, brüllt er. »Verdammt fröhliche Weihnachten!« Das ist sein Standardwunsch, aber er kommt nicht von Herzen. Ich habe das Gefühl, dass er die letzten Stunden nicht nur damit verbracht hat, die DLR-Akte zu suchen. Er hat sie auch gelesen. »Ich brauche einen Drink«, verkündet er in die Runde.
31
Ich schalte den Backofen ein und koche die Pasta. Dann mische ich die geriebenen Käse mit dem Mozzarella und schichte in einer tiefen Kasserolle abwechselnd Käse und Tomatensauce zwischen die Pastascheiben. Anna füllt Datteln mit Frischkäse und gibt gesalzene Nüsse in eine Schale. Marino, Lucy und McGovern schenken Wein und Bier ein und mixen sich Getränke, in Marinos Fall eine scharfe Bloody Mary mit seinem schwarzgebrannten Wodka. Er ist in einer sonderbaren Stimmung und legt es anscheinend darauf an, sich zu betrinken. Die DLR-Akte ist ein schwarzes Loch, immer noch in der Tasche mit den Geschenken, ausgerechnet unterm Weihnachtsbaum. Marino weiß, was in der Akte ist, aber ich frage ihn nicht danach. Niemand fragt ihn. Lucy holt die Zutaten für Schokoladenkekse und zwei Kuchen - der eine mit Erdnussbutter, der andere mit Zitrone - raus, als wollten wir eine ganze Stadt speisen. McGovern entkorkt eine Flasche roten Burgunder Chambertin Grand Cru, Anna deckt den Tisch, während uns die Akte lautlos und mächtig anzieht. Es ist, als wären wir alle übereingekommen, zumindest anzustoßen und mit dem Essen anzufangen, bevor wir über Mord reden.
»Will noch jemand eine Bloody Mary?«, fragt Marino laut, lungert in der Küche herum und ist ansonsten wenig hilfreich. »He, Doc, soll ich einen ganzen Krug voll machen?« Er reißt den Kühlschrank auf, holt mehrere Dosen scharfen V8-Gemüsesaft heraus und macht die kleinen Dosen auf. Ich frage mich, wie viel Marino schon getrunken hat, bevor er herkam, und ärgere mich. Zum eine n kränkt es mich, dass er die Akte unter den Weihnachtsbaum gestellt hat,
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