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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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uns, dass er lebendig und sich nicht bewusst ist, was in Annas Haus vor sich geht. Die Lasagne ist fertig und wird im Backofen warm gehalten, ein Zitronenkuchen kühlt im Kühlschrank aus. Anna ist zu der achtstündigen Fahrt nach Hilton Head aufgebrochen, trotz meiner Proteste. Ich hatte versucht, sie zum Bleiben zu überreden, aber sie wollte unbedingt aufbrechen. Es ist jetzt mitten am Nachmittag. Lucy, McGovern und ich sitzen seit Stunden am Esszimmertisch, die Sets beiseite geschoben, die Geschenke ungeöffnet unter dem Weihnachtsbaum, die DLR-Akte vor uns ausgebreitet.
    Benton war penibel. Er hat jedes Objekt in einer durchsichtigen Plastiktüte abgelegt, und rote Flecken auf manchen Briefen oder Umschlägen deuten darauf hin, dass mit Ninhydrin latente Fingerabdrücke sichtbar gemacht werden sollten. Die Poststempel stammen allesamt aus Manhattan und beginnen stets mit denselben drei Ziffern einer Postleitzahl, 100. Unmöglich zu sagen, in welchem Postamt die Briefe abgestempelt wurden. Die drei Ziffern lassen nur Rückschlüsse auf die Stadt zu und darauf, dass die Briefe nicht von einer Frankiermaschine oder in einem ländlichen Postamt abgestempelt wurden, denn dann würde der Stempel fünf Ziffern aufweisen.
    Vorn in der Akte befindet sich eine Inhaltsübersicht, auf der insgesamt 63 Objekte aufgeführt sind, alle aus dem Zeitraum zwischen dem Frühjahr 1996 (ungefähr ein halbes Jahr bevor Benton den Brief schrieb, den ich nach seinem Tod bekam) und dem Herbst 1998 (ein paar Tage bevor Carrie Grethen aus Kirb y flüchtete). Der erste Brief ist als Objekt 1 bezeichnet, als wäre es ein Beweisstück, das Geschworenen vorgelegt werden sollte. Er wurde am 15. Mai 1996 in New York abgeschickt, ist nicht unterschrieben und in einer verschnörkelten, schwer lesbaren WordPerfect-Schriftart gedruckt, die Lucy als »Ransom« identifiziert.
    Lieber Benton, ich bin der Präsident des Fanclubs der Verunstalteten, und Du wurdest als Ehrenmitglied aufgenommen! Jetzt rate mal. Mitglieder werden umsonst verunstaltet! Ist das nicht aufregend? Mehr später...
    Darauf folgten innerhalb von ein paar Wochen fünf weitere Briefe, die alle auf den Fanclub der Verunstalteten und Benton als neuestes Mitglied anspielen. Papier ohne Wasserzeichen, immer die gleiche Schrifttype, Ransom, keine Unterschrift, die gleiche New Yorker Postleitzahl, eindeutig derselbe Verfasser. Und ein schlauer Verfasser, bis diese Person den sechsten Brief abschickte und einen für das geschulte Augen unübersehbaren Fehler machte, und mich wundert, dass Benton ihn nicht bemerkt zu haben scheint. Auf die Rückseite des schlichten weißen Umschlags haben sich Buchstaben durchgedrückt, die zu erkennen sind, wenn man den Umschlag schräg unters Licht hält.
    Ich ziehe Latexhandschuhe an und hole eine Taschenlampe aus der Küche, die neben dem Toaster auf der Abstellfläche steht. Im Esszimmer nehme ich den Umschlag vorsichtig aus der Plastikhülle und richte den Schein der Taschenlampe schräg darauf. Ich kann das Wort Postmaster entziffern, und sofort wird mir klar, was der Verfasser dieses Briefs getan hat.
    »Franklin D.«, lese ich laut weiter. »Gibt es ein Franklin-D.-Roosevelt-Postamt in New York? Denn hier steht eindeutig N-
    Y, N-Y.«
    »Ja. In meiner Gegend«, sagt McGovern, und ihre Augen werden groß. Sie stellt sich neben mich, um besser sehen zu können. »In manchen Fällen versuchen Leute, sich ein Alibi zu verschaffen«, sage ich und halte die Taschenlampe aus unterschiedlichen Winkeln auf den Umschlag. »Die bekannteste, am häufigsten benutzte Art ist, dass man behauptet, zur Tatzeit an einem anderen, weit entfernten Ort gewesen zu sein, und deswegen als Täter nicht in Frage kommt. Am einfachsten geht das, wenn man Post ungefähr zur Tatzeit an einem weit entfernten Ort abschicken lässt und sich dann damit herausredet, dass man nicht gleichzeitig an zwei Orten sein kann.«
    »Third Avenue«, sagt McGovern. »Dort ist das FDR-Postamt.«
    »Ein Teil des Straßennamens ist lesbar, der Rest ist unter der Lasche. Neun-irgendwas. Drei A-V. Ja, Third Avenue. Man adressiert den Brief, klebt eine Briefmarke drauf, steckt ihn in einen anderen Umschlag, den man an den Postmaster des Postamts schickt, von dem der Brief abgeschickt werden soll. Der Postmaster ist verpflichtet, den Brief weiterzuleiten, und stempelt ihn in seiner Stadt ab. Diese Person hat also den Brief in einen anderen Umschlag gesteckt, den äußeren Umschlag adressiert, und dabei

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