Das letzte Revier
Zweifel«, sagt McGovern. Marino hält den Mund und lehnt sich gegen die Arbeitsfläche.
»Ich kann dir sagen, was wir bislang herausgefunden haben«, wendet sich Lucy an mich. Sie ist vorsichtig und spricht bedächtig, weil niemand wirklich sicher ist, wie ich zu Jay stehe. »Ich tu's zwar nicht gern, weil wir noch keine definitiven Erkenntnisse haben. Aber es sieht nicht gut aus.« Sie schaut mich an, als würde sie in meinem Gesicht nach einem Hinweis suchen. »Gut«, sage ich zu ihr. »Schieß los.«
»Ja, ich bin ganz Ohr«, sagt Marino.
»Ich habe in mehreren Datenbanken nach ihm recherchiert. Es gibt keine straf- oder zivilrechtlichen Akten über ihn, keinen Schuldnachweis, keine Gerichtsurteile und so weiter. Aber wir haben ja auch nicht angenommen, dass er ein Sexualverbrecher oder mit seinen Alimentezahlungen im Rückstand ist oder vermisst oder gesucht wird. Es gibt keine Hinweise darauf, dass das FBI, der CIA oder das ATF eine Akte über ihn haben. Aber als wir unter Grundbucheintragungen nachsahen, tauchte die erste rote Flagge auf. Er hat eine Eigentumswohnung in New York, in der gewisse ausgewählte Freunde wohnen können -darunter hochrangige Mitglieder der Polizei«, sagt sie zu Marino und mir. »Eine Drei-Millionen-Dollar-Wohnung voller Antiquitäten am Central Park. Jay hat immer damit angegeben, dass die Wohnung ihm gehört. Das tut sie nicht. Sie ist unter einem Firmennamen eingetragen.«
»Es ist nicht ungewö hnlich, dass reiche Leute Grundbesitz unter Firmennamen eintragen, um ungestört zu bleiben und bestimmte Liegenschaften aus Rechtsstreitigkeiten herauszuhalten«, sage ich.
»Ich weiß. Aber diese Firma gehört nicht Jay«, sagt Lucy. »Außer er wäre der Besitzer eines Lufttransportunternehmens.«
»Merkwürdig, nicht wahr?«, fügt McGovern hinzu. »Wenn man bedenkt, dass die Familie Chandonne im Reedereigeschäft ist. Vielleicht gibt es da eine Verbindung. Das können wir jetzt noch nicht sagen.«
»Überrascht mich nicht«, murmelt Marino, und in seinen Augen funkelt es plötzlich. »Ich erinnere mich gut, wie er den großen, reichen Harvardheini gespielt hat, stimmt's, Doc? Weißt du noch, ich habe mich gefragt, wieso wir plötzlich in einem Learjet sitzen und dann mit der Concorde nach Frankreich fliegen. Ich hab doch gewusst, dass Interpol nicht für diese Scheiße gezahlt hat.«
»Er hätte nicht mit seiner Eigentumswohnung angeben sollen«, sagt Lucy. »Offensichtlich hat er die gleiche Achillesferse wie andere Arschlöcher: sein Ego.« Sie blickt mich an. »Er wollte dich beeindrucken, deswegen ließ er dich Überschall fliegen - er behauptet, er hat die Tickets umsonst bekommen, weil ihr von der Verbrechensbekämpfung seid. Stimmt schon, manchmal machen die Fluggesellschaften das. Trotzdem, wir sind dabei, zu überprüfen, wer die Tickets gebucht hat und so weiter.«
»Meine große Frage ist natürlich«, fährt McGovern fort, »ob die Wohnung der Familie Chandonne gehört oder nicht. Und man kann sich ja vorstellen, durch wie viele Schichten wir uns graben müssen, um das herauszufinden.«
»Himmel, wahrscheinlich gehört ihnen das ganze Haus«, sagt Marino. »Und halb Manhattan dazu.«
»Was ist mit den Vorstandsmitgliedern der Firma?«, frage ich. »Seid ihr auf irgendwelche interessanten Namen gestoßen?«
»Wir haben Namen, aber sie sagen uns noch nichts«, erklärt Lucy. »Solche Papierfälle brauchen Zeit. Wir überprüfen die Namen und alles und jeden im Zusammenhang mit ihnen und s o weiter und so fort.«
»Und wo kommen Mitch Barbosa und Rosso Matos ins Spiel?«, frage ich. »Oder tun sie das überhaupt? Denn jemand hat einen Schlüssel aus meinem Haus mitgenommen und ihn Barbosa in die Tasche gesteckt. Meint ihr, es war Jay?«
Marino schnaubt und trinkt einen Schluck Bourbon. »Meine Stimme hat er«, sagt er. »Und deinen Maurerhammer hat er auch verschwinden lassen. Wüsste nicht, wer's sonst getan haben sollte. Ich kenne jeden Typ, der bei dir im Haus war. Außer Righter wär's gewesen, aber der ist zu feige, und ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass er so was tun würde.«
Jays Schatten fiel schon des öfteren auf unsere Gedanken. Wir wissen, dass er in meinem Haus war. Wir wissen, dass er sauer auf mich ist. Wir alle zweifeln an seinem Charakter, aber wenn er den Schlüssel platziert hat oder ihn aus meinem Haus mitgenommen und an jemand anders weitergegeben hat, dann heißt das, dass er auch etwas mit Barbosas Folterung und Ermordung zu tun
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