Das letzte Revier
zehn, dreizehn oder fünfzehn loci getestet, weil es teuer ist.
Wenn in Susans Fall zum Beispiel nur vier getestet wurden, haben wir es vielleicht mit einer höchst ungewöhnlichen Ausnahme zu tun. Ich nehme an, dass die DNS-Proben tiefgefroren in der Pathologie aufbewahrt wurden.«
»Was für eine Ausnahme?«
»Wenn wir es mit Geschwistern zu tun hätten. Brüdern. Der eine hinterließ die Samenflüssigkeit, der andere Haare und Speichel.«
»Aber Sie haben Thomas' DNS analysiert, oder? Und sie ähnelte der DNS von Jean-Baptiste, war aber nicht identisch?« Ich kann es nicht glauben. Berger ist aufgeregt.
»Wir haben das vor ein paar Tagen mit dreizehn loci noch einmal getan, nicht nur mit vier oder sechs«, fahre ich fort. »Ich nehme an, dass die DNS-Profile eine Menge gleicher Allelen aufwiesen, aber auch ein paar unterschiedliche. Je mehr loci man analysiert, umso mehr Unterschiede findet man. Vor allem in relativ geschlossenen Populationen. Und wenn man die Chandonne-Familie nimmt, dann ist das eine ziemlich geschlossene Population, Leute, die seit Jahrhunderten auf der Ile Saint-Louis leben und womöglich innerhalb der Familie heirateten. Inzucht - Cousins heiraten Cousinen, was auch für Jean-Baptiste Chandonnes Erbkrankheit verantwortlich sein könnte. Je mehr Inzucht, umso größer die Chance genetischer Ausrutscher.«
»Wir müssen die Samenflüssigkeit in Susans Fall noch einmal testen«, sagt Berger.
»Ihre Labors werden das sowieso tun, weil er des Mordes angeklagt werden soll«, sage ich. »Aber Sie könnten Druck machen, damit sie sich beeilen.«
»O Gott, hoffen wir, dass sie nicht von jemand anders stammt«, sagt sie frustriert. »Es wäre schrecklich, wenn sich bei einem erneuten Test herausstellt, dass die DNS nicht mit seiner übereinstimmt. Dann könnte ich den Prozess vergessen.« Sie hat Recht. So wäre es. Selbst Berger könnte die Geschworenen nicht davon überzeugen, dass Chandonne Susan ermordet hat, wenn seine DNS nicht mit der DNS der Samenflüssigkeit übereinstimmt, die in Susans Leiche sichergestellt wurde.
»Marino soll die Briefmarken und die latenten Fingerabdrücke in den Labors von Richmond überprüfen lassen«, sagt sie dann. »Und, Kay, ich muss Sie bitten, die Akte nicht ohne Zeugen zu durchforsten. Deswegen ist es auch besser, wenn Sie die Beweisstücke nicht selbst einreichen.«
»Verstehe.« Eine weitere Erinnerung daran, dass ich unter Mordverdacht stehe.
»Zu Ihrem eigenen Schutz«, fügt sie hinzu.
»Ms. Berger, da Sie von den Briefen wussten, da Sie wussten, was Benton angetan wurde, was dachten Sie, als er ermordet wurde?«
»Abgesehen von Schock und Trauer? Dass er von den Leuten ermordet wurde, die ihm nachstellten. Das war mein erster Gedanke. Als feststand, wer die Mörder waren, und sie erschossen wurden, schien der Fall geklärt.«
»Und wenn Carrie Grethen diese Briefe schrieb, dann schrieb sie den gemeinsten genau an dem Tag, an dem Susan Pless ermordet wurde.« Schweigen.
»Ich glaube, wir müssen in Erwägung ziehen, dass es zwischen den Fällen eine Verbindung gibt.« Daran besteht für mich kein Zweifel mehr. »Susan war wahrscheinlich Chandonnes erstes Opfer in diesem Land, und als Benton anfing rumzustochern, kam er vielleicht anderen Dingen auf die Spur, die zum Kartell führten. Carrie lebte und war zur gleichen Zeit in New York, als Chandonne in New York war und Susan umbrachte.«
»Und Benton wurde ausgeschaltet?« Berger lässt Zweifel anklingen. »Nicht nur vielleicht«, sage ich. »Ich kenne Benton und weiß, wie er dachte. Zum Beispiel hatte er die DLR-Akte in seiner Aktentasche - warum nahm er sie mit nach Philadelphia, wenn er nicht Grund zu der Annahme hatte, dass ihr Inhalt mit dem, was Carrie und ihr Komplize taten, in Verbindung stand? Menschen umzubringen und ihnen das Gesich t herauszuschneiden. Sie zu verunstalten. Und den Briefen ist zu entnehmen, dass er auch verunstaltet werden sollte, und Sie können Gift darauf nehmen, dass er -«
»Ich brauche Kopien von der Akte«, sagt Berger kurz angebunden. An ihrem Tonfall merke ich, dass sie nicht länger telefonieren will. »Ich habe ein Faxgerät zu Hause.« Sie gibt mir die Nummer.
Ich gehe in Annas Arbeitszimmer und fotokopiere während der nächsten halben Stunde die DLR-Akte, weil ich die in Plastik eingeschweißten Dokumente nicht faxen kann. Als ich ins Wohnzimmer zurückkomme, hat Marino den Burgunder ausgetrunken und liegt wieder schlafend auf der Couch. Lucy und
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