Das letzte Revier
keinem, den er wegen Telefonoder Bankdaten kontaktiert hat. Aber ich verdächtige noch jemand anders - Jay Talley -, und ich wette, er ist auch vorgeladen worden. Ich reiße mich zusammen, als ich auf den Parkplatz fahre und die Übertragungswagen auf der Vierten Straße und die vielen Menschen sehe, die mit Kameras, Mikrofonen und Notizblöcken auf mich warten.
Kein Journalist nimmt von meinem dunkelb lauen Explorer Notiz, weil sie den Wagen nicht kennen, und da wird mir klar, dass ich einen großen taktischen Fehler gemacht habe. Ich fahre seit geraumer Zeit einen Leihwagen, und bis zu diesem Augenblick ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass mich jemand nach dem Grund dafür fragen könnte. Ich parke auf dem für mich reservierten Platz neben dem Eingang und werde bemerkt. Das Pack nähert sich mir wie Jäger, die hinter einem großen Tier her sind, und ich zwinge mich dazu, meine Rolle zu übernehmen. Ich bin der Boss. Ich bin zurückhaltend, gefass t und habe keine Angst. Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich steige aus und lasse mir Zeit dabei, meine Tasche und Akten vom Rücksitz zu nehmen. Mein Ellbogen schmerzt unter den elastischen Binden, Kameras klicken, und Mikrofone zeigen auf mich wie Schusswaffen, die ihr Ziel gefunden haben. »Dr. Scarpetta? Können Sie etwas sagen zu.« »Dr. Scarpetta.?«
»Seit wann wissen Sie, dass eine Jury gegen Sie ermittelt?«
»Stimmt es, dass Sie und Diane Bray sich nicht verstanden haben.?«
»Wo ist Ihr Wagen?«
»Können Sie bestätigen, dass Sie aus Ihrem eigenen Haus vertrieben wurden und Ihr Auto abgeben mussten?«
»Werden Sie Ihre Stellung aufgeben?«
Ich stehe auf dem Gehsteig und sehe sie schweigend an, während ich darauf warte, dass sie sich beruhigen. Als sie merken, dass ich mit ihnen reden werde, blicken sie überrascht drein und legen ihr aggressives Verhalten ab. Viele der Gesichter kenne ich, aber nicht die dazugehörigen Namen. Vielleicht wusste ich die Namen der Leute auch nie, die hinter den Kulissen das Nachrichtenmaterial beschaffen. Ich erinnere mich daran, dass sie nur ihre Arbeit tun und ich keinen Grund habe, die Sache persönlich zu nehmen. So ist es, nur nichts persönlich nehmen. Unhöfliche, unmenschliche, unangemessene, unsensible und vorwiegend falsche Berichterstattung, die jedoch nicht gegen mich persönlich gerichtet ist. »Ich habe keine Stellungnahme vorbereitet«, sage ich.
»Wo waren Sie an dem Abend, an dem Diane Bray ermordet wurde?«
»Bitte«, unterbreche ich sie. »Wie Sie habe ich erst vor kurzem erfahren, dass eine Jury im Mordfall Bray ermittelt, un d ich bitte Sie, die absolut notwendige Vertraulichkeit eines solchen Verfahrens zu respektieren. Bitte verstehen Sie, warum ich mit Ihnen nicht darüber sprechen kann. «
»Aber haben Sie.?«
»Stimmt es, dass die Polizei Ihren Wagen beschlagnahmt hat?« Fragen über Fragen zerreißen die Luft wie Schrapnelle, als ich auf das Gebäude zugehe. Ich habe nichts mehr zu sagen. Ich bin der Boss. Ich bin zurückhaltend, gefasst und habe keine Angst. Ich habe nichts Unrechtes getan. An einen Journalisten erinnere ich mich, denn wie könnte ich den großen weißhaarigen Afroamerikaner mit den prägnanten Gesichtszügen und dem Namen Washington George vergessen? Er trägt einen langen Ledermantel und steht hinter mir, als ich versuche, die Eingangstür zu öffnen. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«, sagt er. »Erinnern Sie sich an mich? Das ist nicht die Frage.« Er lächelt. »Ich bin Washington George. Ich arbeite für AP.«
»Ich erinnere mich an Sie.«
»Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Er hält mir die Tür auf, und wir betreten die Lobby, wo mich der Mann vom Sicherheitsdienst anblickt, und diesen Blick kenne ich mittlerweile. Meine traurige Berühmtheit spiegelt sich in den Augen der Leute wider. »Guten Morgen, Jeff«, sage ich, als ich an ihm vorbeigehe. Er nickt.
Ich führe meinen Schlüssel, eine Plastikkarte, über das elektronische Auge, und die Tür, die in meinen Teil des Gebäudes führt, öffnet sich. Washington George ist noch bei mir und sagt etwas über Informationen, die ich seiner Meinung nach unbedingt haben müsste, aber ich höre ihm nicht zu. Im Empfangsbereich sitzt zusammengesunken eine Frau in einem Sessel und wirkt zwischen den Wänden aus poliertem Granit und Glas traurig und klein. Das ist kein guter Aufenthaltsort. Ich bedaure die Menschen, die hier warten müssen. »Kümmert sich jemand um Sie?«, frage ich sie. Sie trägt einen schwarzen
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