Das letzte Revier
fragen. »Gestern Abend haben sich Fotografen in meiner Einfahrt herumgetrieben.«
»Ich weiß nur, dass heute Morgen Helikopter in der Luft waren. Das hat mir jemand erzählt«, antwortet er, und in mir keimt sofort der Verdacht auf, dass er noch mal in meinem Haus war und sie selbst gesehen hat. »Und Aufnahmen aus der Luft gemacht haben.« Er starrt hinaus in das Schneegestöber. »Aber dem hat das Wetter jetzt wohl ein Ende gesetzt. Am Wachhäuschen wurden Autos abgewiesen. Die Presse, die Neugierigen. Auf ganz unerwartete Art ist es verdammt gut, dass Sie bei Dr. Zenner sind. Komisch, wie sich die Dinge entwickeln.« Er hält inne und starrt erneut zum Fluss. Eine Schar Kanadagänse fliegt im Kreis, als würden sie auf Instruktionen aus dem Tower warten. »Unter normalen Umständen würde ich Ihnen empfehlen, dass Sie erst nach dem Prozess in Ihr Haus zurückkehren -«
»Erst nach dem Prozess?«, falle ich ihm ins Wort. »Das heißt, wenn der Prozess hier stattfinden würde«, leitet er zu seiner nächsten Enthüllung über, und ich folgere daraus, dass von einem Schauplatzwechsel die Rede ist.
»Das heißt, dass der Fall nicht in Richmond verhandelt werden soll«, mutmaße ich. »Und was verstehen Sie mit unter normalen Umständen?«
»Darauf will ich gerade kommen. Marino bekam heute Morgen einen Anruf von der Staatsanwaltschaft von Manhattan.«
»Heute Morgen? Ist das die neue Entwicklung?« Ich bin verblüfft. »Was hat New York mit der Sache zu tun?«
»Vor ein paar Stunden«, fährt er fort. »Die Leiterin de r Abteilung für Sexualverbrechen, eine Frau namens Jaime Berger - ein komischer Name, man schreibt ihn J-A-I-M-E, spricht ihn aber aus wie Jamie. Sie haben vielleicht von ihr gehört. Ja, es würde mich nicht überraschen, sollten Sie sich kennen.«
»Wir sind uns nie begegnet«, erwidere ich. »Aber ich habe von ihr gehört.«
»Am Freitag, den 5. Dezember vor zwei Jahren«, sagt Righter, »wurde die Leiche einer achtundzwanzigjährigen Schwarzen gefunden, in einem Apartment in der Gegend der Second Avenue und der Siebenundsiebzigsten Straße, Upper East Side. Offenbar war die Frau Fernseh-Meteorologin, hm, hat den Wetterbericht auf CNBC präsentiert. Ich weiß nicht, ob Sie von dem Fall gehört haben?«
Wider Willen beginne ich, Verbindungen herzustellen. »Als diese Frau an jenem Morgen, dem fünften, nicht im Studio auftauchte und auch telefonisch nicht erreichbar war, ging jemand nachsehen. Das Opfer« - Righter nimmt ein winziges ledernes Notizbuch aus der Gesäßtasche seiner Hose - »hieß Susan Pless. Ihre Leiche lag in ihrem Schlafzimmer auf dem Teppich neben dem Bett. Von der Hüfte aufwärts waren ihr die Kleider vom Leib gerissen, Gesicht und Kopf so zerschmettert, als wäre sie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.« Er blickt kurz zu mir. »Das war ein Zitat, das mit dem Flugzeugabsturz - vermutlich hat es Berger Marino so beschrieben. Wie haben Sie sich gleich noch mal ausgedrückt? Wissen Sie noch, der Fall, als die betrunkenen Teenager mit einem Pickup durch die Gegend rasten und einer von ihnen halb aus dem Fenster hing und das Pech hatte, mit einem Baum zusammenzustoßen?«
»Zertrümmert«, sage ich tonlos, während ich verarbeite, was er schildert. »Das Gesicht wird durch einen heftigen Aufprall eingeschlagen, zum Beispiel bei einem Flugzeugabsturz oder wenn Menschen aus großer Höhe fallen oder springen und mit dem Gesicht zuerst aufschlagen. Vor zwei Jahren?« Ich bi n verwirrt. »Wie ist das möglich?«
»Ich spare mir die grässlichen Details.« Er blättert in seinem Notizbuch. »Aber man fand Bisswunden, unter anderem an Händen und Füßen, und festgeklebt im Blut jede Menge merkwürdige, lange blonde Haare, die man zuerst für Tierhaare hielt. Vielleicht eine langhaarige Angorakatze oder so etwas.« Er sieht mich wieder an. »Sie verstehen, worauf ich hinauswill.«
Die ganze Zeit haben wir angenommen, dass Chandonne in Richmond zum ersten Mal amerikanischen Boden betrat. Diese Annahme entbehrt jeglicher logischen Grundlage. Wir sahen ihn als einen Quasimodo, der sein Leben bislang in einem Kellerverlies des Hauses seiner mächtigen Familie in Paris verbrachte. Wir nahmen außerdem an, dass er zur gleichen Zeit wie sein toter Bruder mit dem Schiff von Antwerpen nach Richmond kam. Irren wir uns auch in diesem Punkt? Ich frage Righter.
»Sie wissen doch, was Interpol diesbezüglich annimmt.«
»Dass er unter falschem Namen auf der Sirius reiste. Ein
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