Das letzte Revier
Mann namens Pascal wurde direkt zum Flughafen gebracht, nachdem die Sirius Anfang Dezember in Richmond angelegt hatte. Angeblich musste er wegen eines Notfalls in der Familie sofort nach Europa zurückfliegen.« Ich gebe Informationen wieder, die ich letzte Woche bei Interpol in Lyon von Jay Talley bekommen habe. »Aber niemand hat gesehen, wie er an Bord des Flugzeugs ging, deswegen nahmen alle an, dass Pascal in Wahrheit Chandonne war, der nirgendwohin flog, sondern hier blieb und zu morden begann. Aber wenn der Typ ohne weiteres in die USA ein- und wieder ausreisen kann, dann weiß niemand, wie lange er schon hier ist oder wann er ankam. So viel zu unseren Annahmen.«
»Nun, ich vermute, dass einige revidiert werden müssen, bevor der Fall abgeschlossen ist. Ohne Interpol oder sonst wem nahe treten zu wollen.« Righter schlägt erneut die Bein e übereinander und wirkt merkwürdig zufrieden.
»Hat man ihn gefunden? Diese Person namens Pascal?« Righter weiß es nicht, aber er glaubt, dass, wer immer der wahre Pascal ist - vorausgesetzt er existiert -, er wahrscheinlich ein weiterer fauler Apfel aus dem Kartell der Chandonne-Familie ist. »Ein Mann unter falschem Namen, möglicherweise ein Partner des Toten in dem Container«, spekuliert Righter. »Des Bruders. Thomas Chandonne, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass er mit den Geschäften der Familie zu tun hatte.«
»Ich nehme an, Berger ist bekannt, dass Chandonne gefasst wurde, sie weiß von den Morden und hat uns angerufen«, sage ich. »Sie hat den MO wieder erkannt, genau. Sie sagt, dass der Fall von Susan Pless sie immer verfolgt hat. Berger möchte so bald wie möglich die DNS vergleichen. Offenbar hat sie Samenflüssigkeit, und daraus haben sie schon vor zwei Jahren ein Profil erstellt.«
»Die Samenflüssigkeit in Susans Fall wurde also analysiert.« Das überrascht mich etwas, weil überlastete, finanziell unter Druck stehende Labors DNS nur analysieren, wenn es einen Verdächtigen zu Vergleichszwecken gibt - oder eine extensive Datenbank zur Verfügung steht, durch die man das Profil laufen lassen kann in der Hoffnung auf einen Treffer. 1997 existierte New Yorks Datenbank noch nicht. »Heißt das, dass sie damals einen Verdächtigen hatten?«, frage ich.
»Ich glaube, sie hatten einen Mann in Verdacht, der sich jedoch als Fehlschlag erwies«, entgegnet Righter. »Ich weiß nur, dass sie ein Profil erstellt haben, und wir lassen jetzt Chandonnes DNS in die New Yorker Gerichtsmedizin bringen -beziehungsweise, sie ist schon unterwegs. Um das Offensichtliche auszusprechen: Wir müssen wissen, ob die zwei Proben übereinstimmen, bevor wir ihn in Richmond anklagen. Wir müssen das klären, und die gute Nachricht ist, wegen seines Gesundheitszustands, der chemischen Verbrennungen seiner Augen, dass uns dafür zumindest ein paar Tage zur Verfügun g stehen.« Er sagt das, als hätte ich nichts damit zu tun. »So etwas wie die goldene Stunde, wie Sie es immer nennen, diese kurze Zeitspanne, in der man jemanden retten kann, der einen schrecklichen Unfall oder etwas Ähnliches hatte. Das ist unsere goldene Stunde. Wir lassen die DNS vergleichen und warten ab, ob Chandonne tatsächlich derjenige ist, der die Frau in New York vor zwei Jahren umgebracht hat.«
Righter hat die ärgerliche Angewohnheit, Dinge zu wiederholen, die ich irgendwann einmal gesagt habe, als ob man ihm auf Grund dieser Anekdoten nachsehen müsste, dass er von den wichtigen Dingen keine Ahnung hat. »Was ist mit den Bisswunden?«, frage ich. »Haben wir darüber Informationen bekommen? Chandonne hat ein sehr ungewöhnliches Gebiss.«
»Wissen Sie, Kay«, sagt er. »Was diese Einzelheiten anbelangt, habe ich nicht genauer nachgefragt.«
Natürlich hat er das nicht. Ich will die Wahrheit wissen, den wahren Grund, der ihn hierher geführt hat. »Und was, wenn die DNS übereinstimmt? Warum wollen Sie das vor der Anklageerhebung hier wissen?« Es ist eine rhetorische Frage. Ich denke, ich weiß, warum. »Sie wollen ihn hier nicht anklagen. Sie haben vor, ihn nach New York zu überstellen, damit ihm erst einmal dort der Prozess gemacht wird.« Er weicht meinem Blick aus.
»Warum um alles in der Welt wollen Sie das tun, Buford?«, lasse ich nicht locker, während ich zunehmend überzeugt bin, dass genau das sein Plan ist. »Weil Sie nichts mit der Sache zu tun haben wollen? Sie schicken ihn nach Riker's Island, um ihn loszuwerden? Und die Fälle hier sollen nicht gesühnt werden? Seien wir
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