Das letzte Revier
hinauswill. »Sie ist eine gute Freundin«, antworte ich.
»Ich weiß, dass sie große Stücke auf Sie hält. Womit ich nur sagen will«, salbadert er, »dass Sie meiner Ansicht nach im Augenblick nicht in besseren Händen sein könnten.«
Ich mag seine Unterstellung nicht, dass ich mich in irgendjemandes Händen befinde, als ob ich eine Patientin wäre, und sag ihm das.
»Oh, verstehe.« Sein Blick schweift über Ölgemälde an den blassrosa Wänden, Kunstgegenstände aus Glas, Skulpturen und europäische Möbel. »Dann verbindet Sie beide also keine professionelle Beziehung? Und hat es auch nie?«
»Nicht im eigentlichen Sinn«, erwidere ich gereizt. »Ich hatte nie einen Termin bei ihr.«
»Hat sie Ihnen jemals Medikamente verschrieben?«, fährt er unumwunden fort. »Nicht, dass ich mich erinnere.«
»Tja, ich kann gar nicht glauben, dass schon wieder fast Weihnachten ist.« Righter seufzt, sein Blick wandert vom Fluss zurück in den Raum, zurück zu mir. Um einen Ausdruck von Lucy zu benutzen, er sieht abwegig aus in seinen dicken grünen Lodenhosen mit geknöpftem Hosenschlitz, die in fliesgefütterten Gummistiefeln mit dickem Profil stecken. Er trägt zudem einen karierten, Burberryartigen Wollpullover, der bis unters Kinn zugeknöpft ist, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er auf einen Berg steigen oder in Schottland Golf spielen will.
»Nun«, sagt er, »ich will Ihnen sagen, warum ich hier bin. Marino hat mich vor zwei Stunden angerufen. Im Fall Chandonne ist eine unvorhergesehene Wendung eingetreten.«
Augenblicklich fühle ich mich verraten. Marino hat mir nichts davon erzählt. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich heute Morgen nach meinem Befinden zu erkundigen. »Ich will Ihnen eine Zusammenfassung geben, so gut es mir möglich ist.« Righter schlägt die Beine übereinander und legt geziert die Hände in den Schoß, ein schmaler Ehering und ein Ring der Universität von Virginia blitzen im Schein der Lampe auf. »Kay, Sie wissen sicher, dass die Ereignisse bei Ihnen zu Hause und die darauf folgende Festnahme von Chandonne überall in den Nachrichten gesendet wurden. Und ich meine überall. Ic h bin sicher, Sie haben die Angelegenheit verfolgt und wissen die Tragweite dessen abzuschätzen, was ich Ihnen gleich sagen werde.« Angst ist ein faszinierendes Gefühl. Ich habe es unzählige Male analysiert und erzähle den Leuten oft, dass es sich am besten an der Reaktion von Autofahrern studieren lässt, mit denen man aus Versehen fast auf der Gegenfahrbahn zusammengestoßen wäre. Panik verwandelt sich sofort in Wut, und der andere drückt auf die Hupe, macht obszöne Gesten, oder er erschießt einen - heutzutage. Auch ich durchlaufe unfehlbar die gesamte Skala der Reaktionen, schrille Angst wird zu Wut. »Ich habe die Nachrichtensendungen vorsätzlich nicht verfolgt und kann deshalb die Tragweite gewiss nicht abschätzen«, erwidere ich. »Mir war es noch nie angenehm, wenn in meine Privatsphäre eingedrungen wurde.«
»Die Morde an Kim Luong und Diane Bray haben beträchtliche Aufmerksamkeit erregt, aber das war nichts verglichen mit dem Mordversuch an Ihnen«, fährt er fort. »Dann nehme ich an, dass Sie heute Morgen die Washington Post nicht gelesen haben?« Ich starre ihn an, kochend vor Wut.
»Auf der ersten Seite ein Foto von Chandonne, wie er auf der Bahre in die Notaufnahme geschoben wird, die haarigen Schultern nicht von Laken bedeckt. Er sieht aus wie ein langhaariger Hund. Sein Gesicht war natürlich unter den Bandagen nicht zu erkennen, aber man bekam eine Ahnung davon, was für eine groteske Gestalt er ist. Und die Boulevardblätter. Sie können es sich denken. Werwolf in Richmond, die Schöne und das Biest und so weiter.« Ein geringschätziger Unterton schwingt in seiner Stimme mit, als wäre Sensationsgier eine Obszönität, und unwillkürlich stelle ich mir vor, wie Buford mit seiner Frau schläft. Wahrscheinlich zieht er beim Vögeln die Socken nicht aus. Ich vermute, dass er Sex für unwürdig hält, für einen primitiven biologischen Trieb, der sein höheres Selbst überwältigt. Es kursieren Gerüchte. Dass er auf der Männertoilette nicht die Urinale benutzt. Dass er sic h zwanghaft die Hände wäscht. All das geht mir durch den Sinn, während er in seiner adretten Pose fortfährt, mir die Publizität zu enthüllen, die Chandonne mir so ungewollt verschafft hat. »Wissen Sie, ob irgendwo Fotos von meinem Haus veröffentlicht wurden?«, muss ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher