Das letzte Revier
sucht. Dafür muss man kein FBI-Profiler sein, um das zu kapieren.«
Ich sage nichts, werfe Marino jedoch einen umso beredteren Blick zu. Er verhält sich wie ein rücksichtsloses Arschloch und ist anscheinend so wild darauf, sich mit dieser Frau anzulegen, dass er nicht merkt, was er da in meiner Anwesenheit von sich gibt. Er weiß verdammt gut, dass Benton ein begnadeter Profiler war, der seine Erkenntnisse auf Wissenschaft und das umfangreiche Archiv gründete, welches das FBI anhand von Untersuchungen und Befragungen tausender Gewalttätiger anlegte. Und ich habe was gegen Anspielungen auf den Körperbau der Opfer, da Chandonne auch mich ausgesucht hatte.
»Wissen Sie, Captain, ich mag das Wort >Titte< nicht«, sagt Berger sachlich, als würde sie einen Kellner bitten, die Sauce Bearnaise zu halten. Sie blickt Marino gerade an.
»Worte können verletzen und zurückverletzen. Eier zum Beispiel, man kann sie essen, Spiegeleier oder Rühreier. Oder sie bezeichnen das sehr beschränkte Gehirn zwischen den Beinen eines Mannes, der von Titten spricht.« Sie hält inne und wirft ihm einen viel sagenden Blick zu. »Und jetzt, da wir unsere Sprachbarriere überwunden haben, können wir vielleicht fortfahren.« Sie wendet sich erwartungsvoll an mich. Marinos Gesicht ist rettichfarben.
»Sie haben Kopien der Autopsieberichte?« Ich kenne die Antwort, frage jedoch trotzdem.
»Ich habe sie mehrmals studiert«, antwortet sie. Ich reiße das Klebeband von den Akten und schiebe sie in ihre Richtung, während Marino seine Fingerknöchel knacken lässt und vermeidet, uns anzusehen. Berger nimmt Farbfotos aus einem Umschlag. »Was können Sie mir erzählen?«, fragt sie uns. »Kim Luong«, sagt Marino in geschäftsmäßigem Tonfall. Er erinnert mich an die Polizistin M.I. Calloway, nachdem Marino sie zusammengestaucht hatte. In ihm brodelt es. »Asiatin, dreißig Jahre alt, arbeitete als Teilzeitkraft in einem kleinen Lebensmittelladen namens Quik Cary im West End. Wie's aussieht, hat Chandonne gewartet, bis niemand außer ihr mehr im Laden war. Das war abends.«
»Donnerstag, der neunte Dezember«, sagt Berger, während sie ein Tatortfoto von Kim Luongs geschändetem, halb nacktem Körper betrachtet.
»Ja. Die Alarmanlage ging um neunzehn Uhr sechzehn los«, sagt er, und ich wundere mich. Worüber haben Marino und Berger gestern Abend gesprochen, wenn nicht darüber? Ich nahm an, dass sie sich mit ihm traf, um über die Ermittlungen zu sprechen, aber sie scheinen über die Morde an Luong oder Bray nicht geredet zu haben.
Berger runzelt die Stirn, studiert ein anderes Foto. »Neunzehn Uhr sechzehn? Ist das die Zeit, um die er den Laden betreten oder ihn nach begangener Tat wieder verlassen hat?«
»Er ging. Durch die Hintertür, die mit einem eigenen Alarmsystem ausgestattet ist. Er kam also früher in den Laden, durch die Vordertür, wahrscheinlich gleich nach Einbruch der Dunkelheit. Er hatte eine Schusswaffe, ging rein, schoss auf sie, während sie noch hinter der Ladentheke saß. Dann hängte er das Geschlossen-Schild in die Tür, sperrte ab und schleifte sie in den Lagerraum, wo er sich an ihr verging.« Marino klingt lakonisc h und benimmt sich, aber darunter ist ein leicht entzündliches chemisches Gebräu, das ich allmählich wieder erkenne. Er will Jaime Berger beeindrucken, herabsetzen und mit ihr ins Bett, und das alles, weil in ihm Einsamkeit und Unsicherheit schwären und er von mir enttäuscht ist. Ich sehe, wie er darum kämpft, seine Verlegenheit hinter einer Mauer der Nonchalance zu verstecken, und habe Mitleid mit ihm. Wenn Marino sich selbst nur nicht immer wieder mutwillig ins Elend stürzen würde. Wenn er nur nicht immer wieder schreckliche Augenblicke wie diesen provozieren würde. »Lebte sie noch, als er anfing, sie zu schlagen und zu beißen?«, wendet sich Berger an mich, während sie weitere Fotos betrachtet. »Ja«, erwidere ich. »Woher wissen Sie das?«
»Das Gewebe in ihrem Gesicht reagierte so sehr auf die Verletzungen, dass sie noch gelebt haben muss, als er sie zu schlagen begann. Was wir nicht wissen, ist, ob sie bei Bewusstsein war. Oder anders ausgedrückt, wie lange sie bei Bewusstsein war«, sage ich. »Ich habe Videoaufnahmen vom Tatort«, sagt Marino in einem Tonfall, der Langweile zum Ausdruck bringen soll. »Ich will alles«, macht Berger unzweideutig klar. »Wir haben die Tatorte von Luong und Diane Bray gefilmt, nicht den von Bruder Thomas. Wir haben keine Videoaufnahmen in
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