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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Patient wird mir Widerstand leisten. Das weiß ich bereits. Er ist vollkommen steif und wird mir nicht gestatten, ihn einfach auszuziehen oder seinen Mund zu öffnen, um mir Zunge oder Zähne anzusehen, nicht ohne Kampf. Ich ziehe den Reißverschluss des Leichensacks auf und rieche Urin. Ich schiebe eine chirurgische Lampe in die Nähe seines Kopfes und taste ihn ab, stelle aber keine Brüche fest. Verschmiertes Blut auf seinem Kinn und Blutstropfen vorne auf seiner Jacke deuten darauf hin, dass er aufrecht saß, als er blutete. Ich richte die Lichtquelle in seine Nase. »Er hatte Nasenbluten«, sage ich zu Marino und Berger. »Bislang kann ich keine Kopfverletzungen ausmachen. «
    Ich beginne damit, die Verbrennungen mit einer Lupe zu untersuchen. Berger kommt näher, um besser zu sehen. Ich entdecke Fasern und Schmutz auf der blasigen Haut, und in den Mundwinkeln und auf den Innenseiten der Backen stelle ich Abschürfungen fest. Ich schiebe die Ärmel seiner roten Trainingsjacke ein Stück hoch und sehe mir seine Handgelenke an. Die Haut dort weist tiefe Abschnürungen auf, und als ich seine Jacke öffne, finde ich zwei Verbrennungen, eine direkt auf dem Nabel, die andere auf der linken Brustwarze. Berger steht so nahe neben mir, dass sie mich mit dem Kittel streift. »Dafür, dass er nur die Jacke und kein T-Shirt oder sonst irgendwas drunter anhat, ist es eigentlich zu kalt«, sage ich zu Marino. »Wurden seine Taschen am Tatort kontrolliert?«
    »Nein, wir wollten es hier machen, wo man wenigsten was sieht«, antwortet er.
    Ich schiebe die Hand in die Taschen seiner Jacke und seiner Trainingshose und finde nichts. Ich ziehe die Hose hinunter, die kurze blaue Jogginghose darunter ist mit Urin durchtränkt. Der Ammoniakgeruch schickt ein Warnsignal durch meinen Körper , und überall auf meiner Haut stellen sich die winzigen Härchen auf. Die Toten jagen mir nur selten Angst ein. Aber dieser Mann tut es. Ich durchsuche die Tasche im Bund der Jogginghose und ziehe einen Stahlschlüssel heraus, auf dem Nicht duplizieren eingraviert und mit Magic Marker die Nummer 233 aufgetragen ist. »Ein Hotel oder Wohnhaus vielleicht?«, sage ich und lasse den Schlüssel in eine durchsichtige Plastiktüte fallen. Mehr paranoide Gefühle lassen mich erschauern. »Vielleicht ein Spind?« 233 war die Nummer des Postschließfachs meiner Familie in Miami. Ich würde nicht so weit gehen und behaupten, dass 233 meine Glückszahl ist, aber ich benutze sie häufig als Code oder für Schlosskombinationen, weil es keine allgemein übliche Zahl ist und ich sie mir gut merken kann.
    »Haben Sie schon irgendwelche Hinweise, woran er gestorben ist?«, fragt mich Berger.
    »Nein. - Ich nehme an, wir hatten bislang noch kein Glück mit AFIS oder Interpol?«, wende ich mich an Marino.
    »Kein Treffer bislang, wer immer der Typ aus dem Motel ist, er ist nicht in AFIS. Von Interpol auch noch nichts, was ebenfalls kein gutes Zeichen ist. Wenn es eine klare Sache ist, hören wir normalerweise innerhalb einer Stunde von ihnen«, sagt er. »Nehmen wir seine Fingerabdrücke ab, und lassen wir sie so schnell wie möglich von AFIS überprüfen.« Ich versuche, nicht aufgeregt zu klingen. Mit einer Lupe suche ich beide Seiten seiner Hände nach offensichtlichen Beweisspuren ab, die durch das Abnehmen der Fingerabdrücke verloren gehen könnten. Ich schneide Fingernägel ab und verwahre sie in einem Umschlag, den ich beschrifte und zu den Papieren auf der Ablage lege, dann drücke ich die Fingerspitzen auf das Stempelkissen, und Marino hilft mir mit dem Löffel. Ich mache zwei Sätze von Fingerabdrücken. Berger schweigt und ist während der ganzen Zeit auffällig neugierig, ihr forschender Blick hat die warme Ausstrahlung einer starken Lampe. Sie beobachtet jede meiner Bewegungen, horcht auf jede meine r Fragen und Anweisungen. Ich beachte sie nicht weiter, aber ich bin mir ihrer Aufmerksamkeit und der Tatsache bewusst, dass diese Frau Wertungen vornimmt, die mir gefallen können oder auch nicht. Ich wickle das Tuch um den Toten und schließe den Leichensack, bedeute Marino und Berger, mir zu folgen, als ich die Bahre zu den Stahltüren eines Kühlraums schiebe. Der Gestank des Todes schlägt uns in einem kalten Schwall entgegen. Wir haben heute Nacht nur wenige Gäste, sechs an der Zahl, und ich lese die Zettel an den Säcken auf der Suche nach dem John Doe aus dem Motel. Nachdem ich ihn gefunden habe, entblöße ich sein Gesicht und deute auf die

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