Das Letzte Ritual
haben nichts dagegen einzuwenden.«
Der junge Mann trug eine hellblaue Polizeijacke und eine schwarze Uniformhose. Er war recht klein, aber die Zeiten, als von Polizisten eine Mindestgröße gefordert wurde, waren ja schon lange vorüber. Ansonsten sah Markús vollkommen normal aus, war weder hübsch noch hässlich, dunkelblond, mit gräulichen, eher unauffälligen Augen. Als er ihnen seine Hand reichte, lächelte er, und im selben Moment änderte sich Dóras Eindruck von ihm schlagartig. Er hatte wunderschöne, weiße Zähne und Dóra wünschte ihm viele Anlässe zur Freude.
Matthias und Dóra versicherten ihm, es mache ihnen nichts aus, seinen Vorgesetzten nicht zu treffen, und der junge Polizist ergriff erleichtert wieder das Wort. »Es würde mich freuen, wenn wir uns kurz unterhalten könnten. Soweit wir informiert sind, untersuchen Sie den Tatbestand in dem Mordfall, und da unsere Ermittlungen offiziell noch nicht abgeschlossen sind, wäre es gut, wenn wir uns kurz austauschen.« Er zögerte einen Moment und fügte dann vorsichtig hinzu: »Der Computer sowie einige Dokumente, die wir zurückgeben müssen, werden gerade in eine Kiste gepackt. Sie müssen also sowieso einen Augenblick warten. Wir können uns solange in mein Büro setzen.«
Dóra warf Matthias einen Blick zu. Matthias signalisierte ihr durch eine leichte Schulterbewegung, er habe nichts gegen ein Gespräch einzuwenden. Dóra war vollkommen klar, dass es sich bei der Sache mit dem Computer und der Kiste um einen reinen Vorwand handelte – ein einarmiger Mann bräuchte dafür ungefähr drei Minuten. Sie ließ sich nichts anmerken, lächelte arglos und erklärte, das sei kein Problem. Der Polizeibeamte führte sie in sein Büro.
Bis auf eine Kaffeekanne mit der Aufschrift Manchester United gab es in dem Raum keine persönlichen Gegenstände. Der Beamte bat Dóra und Matthias, sich zu setzen. Erst, nachdem sie Platz genommen hatten, setzte er sich selbst hin. Während dieser Prozedur sprach keiner ein Wort und als endlich alle saßen, trat eine unangenehme Stille ein.
»Tja, so ist das also«, sagte der Polizist mit gekünstelter Fröhlichkeit in der Stimme. Dóra und Matthias lächelten nur, erwiderten aber nichts. Dóra wollte, dass der Polizist das Gespräch in Gang brächte, und Matthias’ zusammengekniffene Lippen deuteten darauf hin, dass er derselben Meinung war. Endlich kam der Polizist zum Thema. »Wir haben gehört, dass Sie heute Morgen in Litla-Hraun waren und Hugi þórisson getroffen haben.«
»Das stimmt«, sagte Dóra kurz.
»Jawohl«, entgegnete der Polizeibeamte. »Was ist dabei herausgekommen?« Er schaute sie abwechselnd erwartungsvoll an. »Es ist ziemlich ungewöhnlich, gleichzeitig als Bevollmächtige der Angehörigen und als Unterstützer des Tatverdächtigen aufzutreten, was Sie, soweit ich informiert bin, heute Morgen im Gefängnis gemacht haben.«
Dóra blickte zu Matthias, der sie mit einer Handbewegung aufforderte, zu antworten. »Sollten wir nicht lieber sagen, die Umstände sind ungewöhnlich und nicht alltäglich und wir verhalten uns nur entsprechend. Trotz alledem arbeiten wir in erster Linie für Haralds Familie; die Interessen von Hugi þórisson entsprechen lediglich den Interessen der Familie Guntlieb.« Sie machte eine kleine Pause, um dem Polizeibeamten die Gelegenheit zu geben, Einwände zu erheben, was er nicht tat. Daher redete sie weiter. »Wir glauben nicht, dass er schuldig ist. Unsere Unterredung mit ihm heute Morgen hat uns in unserer Meinung sogar noch bestärkt.«
Der Polizist hob erstaunt die Augenbrauen. »Ich muss gestehen, ich verstehe nicht ganz, warum Sie da so sicher sind. Sämtliche Ermittlungsergebnisse besagen das Gegenteil.«
»Unserer Meinung nach gibt es sehr viele unbeantwortete Fragen; ich denke, das ist der Hauptgrund«, antwortete Dóra.
Der Polizist nickte und schien ihr beizupflichten. »Das stimmt vollkommen, aber wie gesagt, unsere Ermittlungen sind noch nicht beendet. Andererseits würde es mich sehr überraschen, wenn noch etwas ans Licht kommen sollte, das unsere Theorie, dass Hugi þórisson Harald umgebracht hat, über den Haufen werfen würde.« Er spreizte die Finger seiner einen Hand und zählte, indem er einen Finger nach dem anderen mit der anderen Hand umfasste. »Erstens war er kurz vor dem Mord mit dem Verstorbenen zusammen. Zweitens wurde Haralds Blut auf der Kleidung gefunden, die er an jenem Abend trug. Drittens haben wir in seinem Schrank ein T-Shirt
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