Das Letzte Ritual
freimütig zu dem Polizisten. »Man sollte die Kollegen, die solche Wohnungsdurchsuchungen durchführen, vielleicht darauf hinweisen, dass auf dem Bildschirm abgelegte Dateien sich nicht wirklich auf dem Bildschirm befinden. Es liegt alles auf der Festplatte und kann auf jedem Bildschirm abgerufen werden.« Sie tippte leicht auf den Computer.
Der Polizeibeamte wirkte nicht sehr glücklich darüber, dass die junge Frau ihn vor Dóra und Matthias zurechtwies. »Danke für die Infos.« Er nahm ihr die Plastikhülle aus der Hand und zog das Blatt heraus. »Wenn Sie hier bitte den Empfang quittieren würden«, sagte er zu Matthias. »Die übrigen Unterlagen, die wir noch hatten, sind ebenfalls in dem Karton.«
»Um welche Unterlagen handelt es sich?«, fragte Dóra. »Warum sind sie nicht zusammen mit den anderen zurückgegeben worden?«
»Es waren Dokumente, die wir uns genauer anschauen wollten, ein ziemliches Sammelsurium. Daraus hat sich aber nichts ergeben. Ich bezweifele, dass Sie etwas damit anfangen können.« Er stand auf und gab damit zu erkennen, dass die Unterredung beendet sei.
Dóra und Matthias erhoben sich von ihren Stühlen und Matthias nahm den Karton, nachdem er den Empfang quittiert hatte.
»Vergesst den Bildschirm nicht«, sagte die Polizistin und lächelte Dóra zu. Dóra lächelte zurück und versicherte ihr, sie nähmen ihn mit.
Sie gingen zum Auto, Dóra mit dem Bildschirm im Arm und Matthias mit dem Karton. Dóra holte den Stapel mit den Unterlagen aus dem Karton, bevor sie sich auf den Beifahrersitz setzte.
»Matthias!«, sagte sie verwundert, »was zum Teufel ist das denn?«
16. KAPITEL
Dóra hielt ein rotbraunes Lederfutteral in der Hand, das sie mitten aus dem Stapel gezogen hatte. Es war auf der Rückseite mit einem Riemen zugebunden. Das Leder fühlte sich immer noch weich an, obwohl es schon älter sein musste. Wenn man dem Aufdruck Glauben schenken konnte, war es mindestens sechzig Jahre alt: »NHG 1947«. Der Inhalt interessierte Dóra jedoch mehr als das Futteral. »Was ist das bloß?«, fragte sie und schaute Matthias staunend an. Sie zeigte auf die alten, besser gesagt uralten Briefe, die zum Vorschein gekommen waren. Ihrem Aussehen und ihrer Schrift nach zu schließen mussten sie wesentlich älter sein als der Ledereinband.
Entsetzt betrachtete Matthias das Futteral. »War das in dem Stapel aus dem Karton?«
»Ja«, antwortete Dóra und durchblätterte mit spitzen Fingern flüchtig die obersten Briefe, um herauszufinden, wie viele es waren. Sie erschrak, als Matthias etwas Unverständliches hervorstieß und ihr das Futteral aus den Händen riss.
»Sind Sie verrückt geworden?«, japste er, schloss das Futteral und band hektisch den Riemen zu, was wegen des Steuerrads und des engen Fahrersitzes nicht ganz einfach war.
Dóra wusste nicht, wie ihr geschah. Schweigend verfolgte sie Matthias’ Bemühungen. Nachdem er das Futteral wieder verschlossen hatte, legte er es vorsichtig auf den Rücksitz, zog seine Winterjacke aus und bettete sie darüber, sodass nicht die feuchte Außenseite der Jacke, sondern ihr weiches Innenfutter auf dem Leder zu liegen kam. »Sollten wir nicht mal weiterfahren?«, fragte Dóra, um die Stille zu durchbrechen. Das Auto stand nur noch halb auf dem Parkplatz und ragte auf die Fahrbahn.
Matthias umfasste das Steuer mit beiden Händen und atmete tief aus. »Entschuldigen Sie die Aufregung. Ich hab einfach nicht damit gerechnet, diese Dokumente hier zu sehen, in einem unauffälligen Pappkarton von der Polizei.« Er lenkte den Wagen auf die Straße und fuhr los.
»Und was ist das, wenn ich fragen darf?«, sagte Dóra.
»Das sind uralte Briefe aus der Sammlung von Haralds Großvater, aus dem wertvolleren Teil der Sammlung. Die Briefe sind im Grunde unbezahlbar und es ist vollkommen unverantwortlich, dass Harald sie mit nach Island genommen hat. Die Versicherung glaubt bestimmt, sie lägen wie vereinbart sicher im Banksafe.« Matthias verstellte den Rückspiegel, um das wertvolle Frachtgut im Auge behalten zu können. »Ein Adliger aus Innsbruck schrieb sie im Jahr 1485. In den Briefen geht es um Heinrich Kramers Feldzug gegen die Hexen in Innsbruck, noch bevor sich Hexenverfolgungen in späteren Jahren überall verbreiteten.«
»Wer war noch mal Heinrich Kramer?« Dóra wusste, dass sie den Namen kennen sollte, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern.
»Einer der Verfasser des Hexenhammers « , erklärte Matthias. »Er war
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