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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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23. KAPITEL
    Als Halldór das Haus eilig verließ, war er sichtlich erleichtert. Er trat durch das Tor auf den Gehsteig und blickte über die Schulter zurück, aber weder Dóra noch Matthias schienen ihn durchs Fenster zu beobachten. Halldór sah, wie sich eine Gardine in der unteren Wohnung bewegte, und verfluchte die neugierige Nachbarin. Diese Zicke hatte sich offensichtlich nicht geändert – sie hatte Harald nie in Ruhe gelassen und sich über jedes Husten und jedes Stöhnen beschwert. Nach einer der ersten Partys im Sommer war Halldór am nächsten Morgen zur Tür geschickt worden und hatte ihre Standpauke über sich ergehen lassen müssen. Herrgott, die Frau konnte wirklich zetern. Er hatte einen solchen Kater gehabt, dass ihm jedes Wort und die damit einhergehende Lautstärke wie ein Hammerschlag auf die Stirn vorgekommen war. Die Erinnerung daran war äußerst unangenehm, besonders wenn er an das Ende der Geschichte dachte – er hatte die Frau weggeschubst, den Kopf zur Tür herausgesteckt und sich übergeben. Verständlicherweise war sie davon nicht begeistert gewesen, aber Harald war es gelungen, sie am Abend wieder zu beruhigen. Den Rest des Sommers hatte sich Halldór heimlich in die Wohnung schleichen müssen. Die anderen Partygäste hatten die Geschichte großartig gefunden, als sich Halldór schließlich durchgerungen hatte, sie zu erzählen.
    Das Handy klingelte. Halldór fischte es aus seiner Tasche und sah Marta Marias Nummer auf dem Display – schon wieder. Diesmal ging er ran. »Ja?«
    »Bist du fertig?« Ungeduldig und genervt. »Wir warten auf dich, komm her.«
    »Wohin?« Halldór hatte eigentlich überhaupt keine Lust, die anderen jetzt zu treffen. »101 – beeil dich.« Sie legte auf und Halldór beschleunigte seinen Schritt. Es war kalt und er war erschöpft. Schneller als erwartet erreichte er die Eingangstür des Hotels. Halldór klopfte den Schnee ab, der sich unterwegs auf seine Schultern gelegt hatte. Dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und schüttelte es. Schließlich öffnete er die Tür und trat ein. Natürlich saßen die anderen im Raucherbereich – ein paar Kaffeetassen und ein Bierglas standen vor ihnen auf dem Tisch. Halldór hatte auf einmal schreckliche Lust auf ein Bier. Er ging zu ihnen und setzte sich auf einen einzelnen Stuhl, obwohl Marta Maria und Bríet zur Seite gerutscht waren, um ihm zwischen sich auf der Bank Platz zu machen. Er wollte sich jetzt auf keinen Fall zwischen die beiden setzen.
    Die Freundinnen versuchten, sich die Kränkung nicht anmerken zu lassen, und Halldór beobachtete, wie sie langsam und unauffällig wieder zusammenrückten, um den leeren Platz zu verdecken. Marta Maria verstand es meisterhaft, Ruhe und Selbstbeherrschung zu bewahren. Wenn sie einmal Gefühle zeigte, dann waren es pure Wut und Verachtung. Verletzter Stolz gehörte nicht zu ihrem Programm. »Warum zum Teufel hast du den Anruf nicht beantwortet?«, fragte sie spitz. »Wir sitzen hier total angespannt rum und warten drauf, dass du dich meldest.«
    Halldór wurde wütend. »Was ist denn los mit euch? Ich hab mit diesen Rechtsanwälten geredet. Was hätte ich euch denn am Telefon sagen sollen?« Da keiner ein Wort sagte, wiederholte Halldór seine Frage. »Und? Was hätte ich schon sagen sollen?«
    Halldórs Worte prallten an Marta Maria ab. »Du hättest verdammt noch mal die SMS beantworten können. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt.«
    »O ja. Klar«, sagte Halldór ironisch. »Das hätte toll gewirkt. Was glaubst du, was ich bin? Ein Kleinkind?«
    Brjánn griff ein. »Was ist denn eigentlich passiert – bist du in Ordnung?«, sagte er ruhig und nahm einen Schluck Bier.
    Der Anblick reichte. Halldór winkte dem Kellner und bestellte ein großes Bier. Dann wendete er sich wieder den anderen zu. »Es war eigentlich ganz okay. Sie haben ein paar Vermutungen, wissen aber im Grunde nichts.« Halldór klopfte mit den Fingern seiner rechten Hand einen Takt auf der Tischkante, während er mit der linken Hand nach dem Zigarettenpäckchen in seiner Jackentasche suchte. Er fand es nicht. »Ich hab meine Zigaretten vergessen – kann mir jemand eine leihen?«
    Bríet schmiss ihm ihr Päckchen zu und Halldór stöhnte innerlich. Es waren typische Mädchenzigaretten, schneeweiß, mit Menthol und zu allem Überfluss unglaublich schlank. Er griff dennoch nach dem Päckchen und zog eine heraus. Marta Maria war sauer – sie rauchte echte Zigaretten, Marlboro. Halldór

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