Das letzte Sakrament
Deckert in Panderas Richtung. »Habt ihr einen Verdächtigen?«
Pandera schüttelte den Kopf. »Geht nur um eine Kontoüberprüfung.«
Tamara Aerni stand auf und hielt die Hand über das Telefon. »Ich muss leider los«, sagte sie zu Pandera und verließ das Büro.
Deckert sah hinter ihr her. »Die ist ganz schön auf Zack.« Er hob seine Hosenträger an und ließ sie auf den Bauch schnalzen. »Und optisch hast du dich auch verbessert.«
»Mir wäre trotzdem lieber, Kurt wäre noch da.«
»Ist er aber nicht! Also finde dich mit der neuen Situation ab. Je früher, desto besser.«
Pandera seufzte. »Und weswegen ist das Grabtuch jetzt eine Fälschung?«
»Ganz einfach«, antwortete Deckert. »In den ersten tausend Jahren nach Jesu Tod wurde kaum über Reliquien von ihm berichtet. Im Mittelalter tauchten plötzlich jede Menge davon auf. Wo sollen die in der Zwischenzeit gewesen sein?«
»Vielleicht hatten Gläubige sie versteckt«, überlegte Pandera. »Schließlich wurden die Christen lange Zeit verfolgt.«
»Es kann sein, dass es einzelne Fälle gegeben hat, aber die erklären nicht die Reliquieninflation im Mittelalter. Die Sandalen, die Tunika, das Grabtuch, das Schweißtuch, irgendein Schleier, alles Mögliche tauchte plötzlich auf. Allein aus den Splittern, die angeblich von Jesus Kreuz stammten, hätte man ein ganzes Haus bauen können. Aber weißt du, was das Beste ist?«
Pandera schüttelte den Kopf.
Deckert grinste. »Mehrere kirchliche Institutionen haben in der Vergangenheit behauptet, im Besitz der heiligen Vorhaut unseres Heilands zu sein.«
»Der Vorhaut?«, wiederholte Pandera. »Sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
»Du glaubst mir nicht? Wollen wir wetten?« Deckert war auf der Wache dafür bekannt, wegen jedem möglichen Unsinn zu wetten. Angeblich verlor er meist.
»Wenn ich recht habe, lädst du mich ein zum Hamburgerbrater meines Vertrauens«, sagte er und strich sich über den Bauch. »Und ich darf essen, bis ich nicht mehr kann.«
»Dann bin ich pleite!« Pandera lachte. »Und was ist, wenn ich gewinne?«
»Du darfst mit Jackie im Les Trois Rois zu Abend essen, auf meine Kosten. Dann bin ich auch pleite.«
Pandera pfiff durch die Zähne. Das Les Trois Rois war die vornehmste Adresse in Basel.
»Also gilt die Wette?«
»Klar.«
»Bitte schön!« Deckert schaltete den Bildschirm seines Computers an.
Dort erschien ein Wikipedia-Artikel. Er trug die Überschrift Heilige Vorhaut . Pandera überflog ihn. Tatsächlich hatten im Mittelalter vierzehn Orte den Besitz dieser Reliquie für sich in Anspruch genommen!
»Das gibt’s doch nicht!« Pandera deutete auf den Monitor. »Selbst das berühmte Kloster in Andechs hat früher behauptet, im Besitz der heiligen Vorhaut zu sein. Ich glaube, die haben zu viel Bier getrunken!« Er sah Deckert misstrauisch an. Der grinste, als hätte er im Lotto gewonnen.
»Aber warum ausgerechnet die Vorhaut?«, fragte Pandera und verzog angewidert das Gesicht.
»Ganz einfach! Da nach christlichem Glauben Jesus mit seinem ganzen Körper in den Himmel aufgefahren ist, kann es auf der Erde nur solche Überbleibsel von ihm geben, die er zeit seines Lebens verloren hat. Und das ist nun mal seine Vorhaut, da er als Jude beschnitten wurde.«
Pandera las weiter. »Bis 1962 war seine Beschneidung sogar ein kirchlicher Festtag.« Er rümpfte die Nase. »Genau acht Tage nach der Geburt, also am ersten Januar. Na dann, Prosit Neujahr!«
»So, jetzt aber genug davon«, drängte Deckert und schaltete den Rechner aus. »Ich hab nämlich einen Hunger, das kannst du dir gar nicht vorstellen.«
8
Tamara Aerni setzte den Blinker ihres Mini Cooper und bog ab. Natürlich war es aufwendiger, direkt bei der Bank vorbeizuschauen, aber Telefonate und Mails konnte man viel besser ignorieren als Menschen.
Außerdem war es an der Zeit, Alex Pandera zu zeigen, dass sie mehr konnte, als nur die Assistentin zu spielen. Sie verstand nach wie vor nicht, dass er sie nicht nach Solothurn mitgenommen hatte. Und dass er ihr nicht gesagt hatte, warum. Sie hatten sich nicht gestritten, die Befragung von Plattner hatte erste wichtige Ergebnisse gebracht, also weshalb?
Auch als er nach Basel zurückgekommen war und sie gemeinsam die anderen Mitarbeiter von SEQUENZA 46 befragt hatten, war ihr nichts aufgefallen. Wieder war er distanziert gewesen, kühl, gar nicht so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Ein lockerer Typ, war ihr erster Eindruck gewesen, schließlich war
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