Das letzte Sakrament
früher wissenschaftlicher Sekretär des Jesuitenordens«, begann er. »Vor seinem Umzug nach Basel hat er an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom gearbeitet. Er kam dann im Rahmen einer Forschungsarbeit nach Basel.«
Vikar Kunen räusperte sich, als wolle er den Bischof stoppen. Doch dieser redete weiter. »Die Forschungen und deren Ergebnisse sollten geheim gehalten werden und in absolut neutraler Umgebung stattfinden, hier in der Schweiz, in einem unabhängigen Labor. Mein Bruder hat diese Forschungen im Auftrag des Papstes begleitet. So ist er zu diesem Labor gestoßen, in dem er jetzt tot aufgefunden wurde.«
»Und weswegen wurde er angefeindet? Ich denke, die Untersuchungen waren geheim?«, fragte Pandera.
»Die Resultate der Untersuchungen sind auch nie veröffentlicht worden«, antwortete Bischof Obrist. »Aber natürlich gab es Gerüchte … Manche glauben, die Kirche halte unliebsame Forschungsergebnisse zurück.«
»Das ist nicht gerade überraschend, wenn die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden. Da kommen schnell Gerüchte auf.«
»Das ist noch nicht alles«, fuhr der Bischof fort. »Mein Bruder hat mir erzählt, dass es Wissenschaftler gab, die versucht haben, an Proben des Forschungsobjektes heranzukommen.«
»Kennen Sie diese Wissenschaftler?«
Der Bischof schüttelte den Kopf. »Mein Bruder hat keine Namen genannt.«
»Aber Doktor Plattner könnte diese Wissenschaftler kennen?«
Der Bischof zuckte mit den Schultern. Kunen schaute zu Boden. Der Mann wusste etwas.
»Was war das für ein Forschungsobjekt?«, fragte Pandera.
Vikar Kunen räusperte sich. »Eure Exzellenz«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass Kommissar Pandera Untersuchungen interessieren, die seit drei Jahren abgeschlossen sind …«
»Es geht um den Mord an meinem Bruder!«, fiel der Bischof ihm ins Wort. »Der Kommissar soll alles wissen, was von Bedeutung sein könnte.«
Pandera nickte. »Also, worum ging es bei den Untersuchungen?«
»Es gibt eine Reliquie, die beweist, dass Jesus Christus gelebt hat, dass er gekreuzigt wurde und wieder auferstanden ist«, antwortete der Bischof.
Pandera sah ihn fragend an.
»Ich spreche von der größten Reliquie der Menschheit.« Die Stimme des Bischofs klang beinahe verschwörerisch.
»Die größte Reliquie der Menschheit?«, wiederholte Pandera. Er kam sich vor wie ein dummer Schuljunge.
Der Bischof seufzte. »Haben Sie noch nie etwas vom Leichentuch Jesu gehört?«
»Sie meinen das Turiner Grabtuch?«
Die beiden Geistlichen antworteten nicht. Doch ihr Nicken verriet Pandera, dass er recht hatte.
6
»Du bist die Zukunft«, sagte er. »Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.«
Der Zweijährige sah ihn mit großen Augen an. »Sukunft«, wiederholte er und lachte.
Aber der Professor hatte sich schon wieder abgewendet.
Er saß neben dem Jungen auf dem Parkettboden und blätterte in einer Bibel mit ledernem Einband. Er suchte eine Weile darin, dann legte er sie zur Seite und sah wieder zu dem kleinen Jungen. »Wir werden bald an die Öffentlichkeit gehen«, sagte er und strich ihm durch dessen schwarzes Haar. »Die Zeit ist reif, der Welt zurückzugeben, worauf sie zweitausend Jahre lang gewartet hat.«
Der Junge spielte mit einem kleinen Kreisel. Es war sein Lieblingsspielzeug. Durch die schnellen Drehungen leuchteten die kleinen Dioden im Innern des Kreisels auf und blinkten wie Sterne. Der Junge klatschte freudig in die Hände. Für ihn war das Leben noch ein Spiel. Doch der Professor wusste, dass der Kleine bald zum Spielball werden würde. Es war unvermeidlich.
Er nahm eine Videokamera und filmte den Jungen. Doch er tat es nicht mit der Euphorie eines begeisterten Vaters, er tat es vielmehr nüchtern und besonnen wie ein Dokumentarfilmer.
Schon nach wenigen Minuten legte er die Kamera wieder zur Seite. Die Aufnahmen, die er vorgestern gemacht hatte, waren besser. Sie hatten etwas Königliches, etwas Entrücktes. Sie waren perfekt, sie würde er verwenden. So überwältigend seine Botschaft auch war, ohne Bilder würde sie nicht funktionieren. Auch die Bibel war voller Bilder, aber natürlich keine, die gezeichnet oder gar fotografiert waren. Es waren die Worte, die darin malten.
Er stand auf, ging zum Fenster, öffnete den Vorhang und blickte auf die nachtdunkle Stadt. Das glitzernde Wasser des Tibers schlängelte sich unter dem Ponte Sant’Angelo hindurch. Die Engelsbrücke war fast zweitausend Jahre alt, ein stummer Zeitzeuge der römischen
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