Das letzte Sakrament
dem Leben zu scheiden?«, fragte Zumstein.
»Nein, natürlich nicht!«
»Hatte er Feinde?«
»Das weiß ich nicht. Warum fragen Sie?« Mit fahrigen Bewegungen schob sie eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, aus der Stirn.
»Frau Leuenberger …«, begann Zumstein, dann schien ihm klar zu werden, dass er ihren Doppelnamen schon wieder vergessen hatte. Er grummelte etwas Unverständliches hinterher, beugte sich vor und sah ihr direkt in die Augen. »Sie müssen uns schon helfen, wenn wir den Mörder Ihres Mannes finden sollen.«
»Aber das tue ich doch!«, protestierte sie.
»Sie haben uns bisher nicht eine einzige konkrete Antwort gegeben!«
»Wir hatten eben jeder unsere eigenen Interessen, mein Mann und ich«, sagte sie. »Er war ständig im Labor, wahrscheinlich kennen die ihn dort besser als ich.«
Pandera gab Zumstein ein Zeichen, dass er sich in das Gespräch einschalten wollte. Zumstein nickte knapp.
»War Ihr Mann gläubig?«, fragte Pandera.
»Was hat das denn damit zu tun?« Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
»Könnten Sie die Frage bitte beantworten«, erwiderte Pandera ruhig.
»Wir sind aus der Kirche ausgetreten, schon vor langer Zeit.«
»Stand er mit jemandem aus der Kirche in Verbindung?«
»Nein. Wir wissen nicht einmal, wie der örtliche Pfarrer heißt. Also, was soll Ihre Frage?«
Pandera antwortet nicht. »Kannten Sie Roland Obrist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Den Namen habe ich noch nie gehört.«
»Sind Sie sicher?«
»Vielleicht ein Freund meines Mannes … Die kenne ich nicht. Er hat sein eigenes Leben gelebt.«
»Hatte er ein Verhältnis?« Er fixierte sie.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Und Sie?«, fragt Zumstein.
»Wie bitte?«, entgegnete die Frau, obwohl sie ihn sehr wohl verstanden haben musste.
»Haben Sie ein Verhältnis?«, wiederholte Zumstein.
Sie fuhr hoch. »Also … das geht zu weit! Was bilden Sie sich eigentlich ein?« Sie stürmte aus dem Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.
»Danke, wir haben keine Fragen mehr!«, rief Zumstein ihr hinterher. »So eine Zicke! Oder nicht?« Er blickte Pandera an.
»Fünf Minuten mit der verheiratet und ich würde freiwillig ins Kloster gehen.«
Zumstein lachte. »Ich glaube der übrigens kein Wort. Das fängt beim Koksen an und hört bei ihrem Verhältnis auf. Wir sollten sie uns genauer anschauen.«
»Was schlägst du vor?«
»Den ersten Schritt dazu haben wir schon getan«, antwortete Zumstein und grinste.
»Wieso?«
»Wir haben eine Speichelprobe von ihr.«
Pandera blickte ihn überrascht an.
Zumstein nahm den kleinen Aschenbecher, den er der Frau hingehalten hatte, und fischte die Kippe heraus. »Damit ist heutzutage problemlos ein Kokain-Test möglich.«
27
Professor Wismut saß in seinem War-Room und lächelte. Auf allen Monitoren lief dasselbe Programm. Sie faszinierten ihn immer wieder aufs Neue, diese kleinen Verzögerungen im Millisekundenbereich, diese Farbabweichungen bei den einzelnen Monitoren, diese minimal verschobenen Bildausschnitte. Es war immer das identische digitale Signal, die gleichen Nullen und Einsen. Und doch sahen sie überall anders aus. Zumindest für einen Fachmann.
Im Grunde war das pure Genetik. Das menschliche Gen war auch nur ein Signal, das sich je nach RNA verschieden ausprägen konnte. Selbst kleinste Abweichungen konnten zu vollkommen verschiedenen Ergebnissen führen.
Nur was gerade über den Bildschirm lief, interessierte ihn nicht. Er hasste Werbung. Doch noch war es zu früh, auf andere Sender zu schalten. In zwei Stunden dürfte es so weit sein. Für die 20-Uhr-Nachrichten mussten sich die Redakteure entscheiden. Angesichts des Sommerlochs würden sie über Simovics Auftritt berichten, wenn auch mit der gebotenen Distanz. Doch noch war die Sendung nicht gelaufen, im Gegenteil. BIGNEWS zeigte immer noch Werbung, und Wismut fragte sich, ob ein neues Vollwaschmittel wirklich zur Verkündigung des Herrn passte. Aber das war das Problem des Senders, nicht seines.
Bis jetzt lief alles perfekt. Simovic machte einen guten Job. Wismut mochte ihn trotzdem nicht. Doch das spielte keine Rolle. Der Reporter wusste um seine Macht und Ausstrahlung, aber er wusste nicht, dass er nur Mittel zum Zweck war. Wismut hatte vor seiner Entscheidung unzählige Sendungen und Interviews gesehen, sowohl Simovic als auch andere Fernsehjournalisten geprüft, die infrage gekommen wären. Er hatte sich für Simovic entschieden, weil der zweifellos der Beste war:
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