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Das letzte Sakrament

Das letzte Sakrament

Titel: Das letzte Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kowa
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heben!«

26
    Im 18. Jahrhundert hatte man in Bern offensichtlich ein großes Herz für kleine Kinder besessen. Vor allen Dingen für Kinder ohne Eltern. Denn damals hatte man ihnen ein Waisenhaus gebaut, das heutzutage fast feudal aussah, wie ein kleines, aber feines Hotel. Zudem hatte man es nicht außerhalb der Stadt gebaut, wo das Elend nicht zu sehen gewesen wäre, sondern in unmittelbarer Nähe der Altstadt.
    Das reich verzierte Portal, das Erdgeschoss, die Fensterumrahmung und die Ecken des Alten Waisenhauses bestanden aus hellgrünem Sandstein, der Rest des dreistöckigen Gebäudes war ockerfarben gestrichen. Die grasgrünen hölzernen Fensterläden gaben dem Gebäude ein freundliches Gesicht.
    Doch heute erinnerte nur noch der Name des Gebäudes an seine ursprüngliche Bestimmung. In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, die auch in der Schweiz dunkler gewesen waren, hatte man die Waisen vor die Tore der Stadt abgeschoben. Die Polizei hatte das Gebäude übernommen und saß noch heute darin.
    Zumstein führte die beiden Kommissare in sein Büro. Es lag im dritten Stock und bot einen schönen Blick auf die Altstadt. Ein riesiger Gummibaum nahm fast die gesamte Breite des Büros ein. Pandera musste unweigerlich an die Yucca-Palme denken, die nach Sanders Kündigung in Rekordtempo eingegangen war.
    Hier ließ es sich fraglos besser arbeiten als im Basler Waaghof, einem hässlichen Betonquader direkt neben dem Untersuchungsgefängnis. Manchmal dachte Pandera, der Architekt des Waaghofs habe die gleichen Bedingungen für Polizisten wie für Häftlinge schaffen wollen. Bei den Polizisten hatte er lediglich die Gitter vor den Fenstern weggelassen.
    »Wie geht es jetzt weiter, Stefan?«, fragte Pandera. Sie waren inzwischen zum Du gewechselt, in Bern ging das schnell. Zumstein schenkte ihnen Kaffee ein und setzte sich in seinen Bürostuhl.
    »Wir schicken zwei Kollegen zum Inselspital, die das Krankenhauslabor durchsuchen sollen, und zwei zu Leuenbergers Privatwohnung. Der Rest verhört die Angehörigen und Zeugen. Tamara kann sich einem der Teams anschließen, wenn sie das möchte.«
    »Ich fahre mit ins Inselspital«, sagte sie. »Wenn wir was finden, dann dort.«
    »Und wir?«, fragte Pandera.
    »Wir unterhalten uns mit der Witwe«, antwortete Zumstein. »Sie wartet nebenan.«
    Zumstein und Pandera gingen in einen Raum, der als Verhörzimmer diente. Er war zwar spartanisch eingerichtet, aber selbst hier blühten Blumen auf der Fensterbank, als habe das gesamte Kommissariat einen grünen Daumen.
    Auf einem gepolsterten Holzstuhl saß Frau Leuenberger und rauchte eine Zigarette. Sie trug ein weiß glänzendes elegantes Kleid, ihre wasserstoffblonden langen Haare hatte sie hochgesteckt. Sie sah aus, als käme sie direkt aus einer Opernaufführung. Pandera tat sich schwer, ihr Alter zu schätzen, alles zwischen fünfunddreißig und fünfundfünfzig schien möglich, je nach Talent ihres Chirurgen. Ihre Augenpartie zeigte keine einzige Falte, wirkte aber irgendwie leblos. Ihre Pupillen zuckten unsicher.
    »Würden Sie so freundlich sein und Ihre Zigarette ausmachen«, bat Zumstein und hielt ihr einen Einwegaschenbecher aus Aluminium hin. »Hier herrscht Rauchverbot.«
    Sie seufzte auf und zog noch einmal an der Zigarette, dann drückte sie diese aus. »Wer hat meinen Mann ermordet?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
    »Wie kommen Sie darauf, dass er ermordet wurde?«, entgegnete Zumstein.
    »Ja … Wie soll er denn sonst gestorben sein?«
    Unter Kollegen wirkte Zumstein wie ein väterlicher Freund, doch jetzt wurde er hart und direkt. »Hat Ihr Mann Kokain genommen?«
    Die Frau riss ihre Augen auf. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam nichts.
    Zumstein klopfte mit den Fingerkuppen auf den Tisch. »Frau Leuenberger, würden Sie bitte die Frage …«
    »Frau Doktor Leuenberger-Seidler , bitte!«, korrigierte sie ihn. Offenbar hatte sie ihre Sprache wiedergefunden.
    »Gut, Frau Doktor Leuenberger-Seidler, hat Ihr Mann Kokain genommen?«
    »Das … kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete sie. »Wie kommen Sie auf diese absurde Vermutung?«
    »Weil man eine Überdosis Kokain in seinem Körper gefunden hat.« Zumstein zog die Augenbrauen hoch.
    »So muss ich mich nicht behandeln lassen!« Empört stand sie auf. Sie schluchzte, aber Pandera sah keine Tränen.
    Zumstein brummelte eine Entschuldigung, worauf die Frau sich wieder hinsetzte.
    »Hätte Ihr Mann einen Grund gehabt, freiwillig aus

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