Das letzte Sakrament
vorzuhaben, demnächst wiederzukommen.
Wenigstens auf die römische Müllabfuhr war Verlass. Sie streikte mal wieder. Auch wenn der Professor den Hausmüll irgendwie losgeworden war, das Altpapier lag immer noch in seiner Wohnung. Es hatte sich ein ordentlicher Stapel angesammelt. Sander setzte sich davor und blätterte ihn durch. Wismut ließ sich offensichtlich die Basler Zeitung nach Rom liefern, sogar die Ausgabe, in der Pandera abgebildet war, lag hier. Außer weiteren Tageszeitungen fand Sander lediglich einige Werbeprospekte. Es gab keine persönlichen Notizen, nichts! Enttäuscht legte er den Papierstapel zur Seite.
Plötzlich fiel ihm etwas auf. Er nahm den Stapel noch einmal zur Hand. Einige der Prospekte waren mit Wismuts Adress-Aufkleber versehen. Neben zwei Katalogen für Laborausstattung fand er einen mit Kreuzfahrtangeboten. Wismut hatte ihn offensichtlich bestellt.
Sander dachte nach. Es könnte sich auch um ein Ablenkungsmanöver handeln, vielleicht hatte der Professor den Katalog bewusst zurückgelassen. Er blätterte durch die Seiten, stockte, blätterte zurück und legte dann den Katalog in eine Klarsichthülle. Er würde sich im Hotel damit befassen. Doch sicher nicht, um zu verreisen; der Aufenthalt in Rom reichte ihm vollkommen.
Er sah noch einmal in alle Räume, löschte das Licht und verließ die Wohnung. Im Treppenhaus horchte er. Stille. Dann nahm er wieder das Schweißgerät und setzte die Schutzmaske auf. An drei Stellen verschweißte er von außen den Stahlkern der Tür mit dem Rahmen. So war sichergestellt, dass niemand in die Wohnung eindringen konnte. Schließlich sollte alles seine Ordnung haben. Und die Kollegen von der italienischen Polizei etwas zum Nachdenken.
45
In der Welt von Frau Leuenberger-Seidler schien das Wörtchen sofort die gleiche Bedeutung zu haben wie ich lass mir alle Zeit der Welt . Zumindest standen Stefan Zumstein und Tamara Aerni schon seit mehr als fünf Minuten vor dem Haustor und warteten darauf, dass es sich öffnete. Zumstein hatte Alex Pandera angeboten, bei der Vernehmung dabei zu sein. Die Ehefrau des ermordeten Laborleiters hatte den Termin immer wieder hinausgeschoben. Anfangs hatte sie mit ihrem Schock argumentiert, dann mit Arbeitsüberlastung und zuletzt mit ein paar nichtssagenden ärztlichen Attesten.
Schließlich hatte der Staatsanwalt entschieden, dass die Vernehmung innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden zu erfolgen habe, sonst würden Zwangsmaßnahmen eingeleitet. Und da Pandera in Rom ermittelte, war Tamara Aerni nach Bern gekommen, um die Befragung von Basler Seite zu begleiten.
Und jetzt warteten sie in Muri vor einem etwas in die Jahre gekommenen weißen Bungalow. Das Örtchen Muri vor den Toren Berns war ein schönes Fleckchen Erde mit niedrigem Steuersatz und entsprechend hohem Einkommensdurchschnitt. Es herrschte kein Mangel an stattlichen Villen, sodass Leuenbergers Bungalow fast ein wenig deplatziert wirkte.
Zumstein drückte noch einmal auf die Klingel, schon zum fünften Mal. »Wahrscheinlich pudert sie sich gerade die Nase«, sagte er und zupfte an seinem grauen Schnurrbart.
Tamara Aerni lächelte. Sie war froh, dass sie nach Bern gekommen war. So konnte sie die unzähligen Akten, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten, für ein paar Stunden alleine lassen. Sie würden nicht weglaufen. Im Gegensatz zu den Verdächtigen.
Endlich hörten die Kommissare ein Summen, und die Gartentür sprang auf. Sie gingen über den schmalen Kiesweg zur Haustür. Dort stand Frau Leuenberger-Seidler, den roten Bademantel nur lässig zugebunden, das rechte Bein leicht nach vorne gestellt. Ihre Füße steckten in hochhackigen goldenen Sandaletten. Ihre Zehennägel glänzten so rot, als kämen sie direkt aus der Autolackiererei. An drei Zehen steckte ein goldener Ring. Tamara Aerni bezweifelte, dass die Frau barfuß gehen könnte, ohne zu klimpern. Frau Leuenberger-Seidler hatte auch ihre Finger mit Ringen geschmückt, darüber hinaus schien sie mehr Armreife zu besitzen als ein gut geführter Juwelierladen. Sie wirkte deutlich jünger als die dreiundfünfzig Jahre, die in ihrem Pass standen.
»Ich war noch im Bad«, entschuldigte sie sich, dann bat sie die Kommissare in die Wohnung und führte sie durch einen mit unförmigen Möbeln vollgestellten Flur. Es roch übertrieben nach Parfüm, irgendetwas mit Flieder. Im Wohnzimmer ließ sie sich in einen schweren Massagesessel fallen und bot den Kommissaren einen Platz auf der
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