Das letzte Sakrament
die Küche ging, um Bier zu holen, tat er genau das.
Er öffnete den Kühlschrank, dessen große Tür ihm perfekten Sichtschutz bot. Aber die Küche bot nicht nur Sichtschutz, sondern auch ein Fenster. Pandera warf einen Blick hinaus. Erdgeschoss! Man darf auch mal Glück haben.
Ein paar leere Bierflaschen standen auf der Fensterbank. Er stellte sie lautlos auf den Boden.
»Wo bleibt das Bier?«, hörte er einen der Männer rufen.
Schnell öffnete er das Fenster. Er stieg gerade über die Fensterbank, als er hinter sich Schritte hörte. Jemand kam in die Küche.
»He! Das ist nicht Bender!«
Pandera hörte, wie die anderen Männer in die Küche stürzten, er hörte auch, wie sie nach ihm riefen, doch er drehte sich nicht um. Er sprang von der Fensterbank auf den Gehweg, rannte über eine Straße und hielt auf die nächste Ecke zu. Seine Muskeln brannten wie Feuer. Aber sie ließen ihn nicht im Stich.
Er hörte Schritte hinter sich, Autotüren wurden zugeschlagen, dann startete ein Motor. Auch ohne sich umzublicken, wusste er, dass es der schwarze Mercedes war, den er schon vom Hotel Splendid Royal kannte.
Er rannte so schnell er konnte weiter, aber natürlich holte der Mercedes auf. Er warf einen schnellen Blick zurück. Der Mercedes raste über den Gehweg!
Wollten die Kerle ihn überfahren?
Er glaubte schon zu spüren, wie die Stoßstange seine Waden berührte, da erreichte er endlich die Straßenecke und sprang in eine kleine Seitengasse. Der Mercedes schoss vorbei. Pandera rannte über das unebene Pflaster und hoffte inständig, dass die Gasse für den breiten Wagen zu schmal war. Er hörte, wie Bremsen quietschten, der Wagen rückwärts fuhr und dann wieder beschleunigte. Erneut warf er einen Blick zurück. Der Mercedes bog in die Gasse ein, und folgte ihm. Innerhalb von wenigen Sekunden holte der Wagen den Abstand auf, nicht ohne ein Fahrverbotsschild, drei Briefkästen und ein Fahrrad in die Luft zu schleudern. Der Wagen hatte zwar einige Beulen abbekommen, kam aber unaufhaltsam näher. Nur noch wenige Augenblicke, und er hatte ihn erreicht.
Was sollte er tun? Im Laufen zog er die Bomberjacke aus und warf sie gegen die Windschutzscheibe. Der Fahrer trat auf die Bremse und schaltete den Scheibenwischer ein. Der Wischer verfing sich in der Jacke und blockierte. Doch sofort gab der Fahrer wieder Gas. Er schien begriffen zu haben, dass er in der engen Gasse ohnehin nicht manövrieren konnte.
Pandera hatte ein paar Meter Vorsprung gewonnen, aber schon nach wenigen Augenblicken war der Mercedes wieder direkt hinter ihm. Er musste sich nicht mehr umdrehen, er wusste auch so, dass er keine Chance mehr hatte.
56
Fünfzehn lange Jahre hatte Vikar Kunen keinen Alkohol mehr angerührt. Kein Bier, kein Schnaps, kein Whisky, ja nicht einmal Wein war über seine Lippen gekommen. Außer dem Messwein natürlich, davon hatte er aber nie mehr als einen kleinen Schluck getrunken. Alkohol war eines der Laster gewesen, denen er für ein Leben als Geistlicher abgeschworen hatte. Dieser Genuss, ob nun mäßig oder übermäßig, würde ihn nur von den wahren Zielen ablenken.
Doch jetzt, nachdem er sich im Flugzeug erschöpft in seinen Sitz hatte fallen lassen, fand er, er habe sich einen Schluck verdient. Alkohol war immer noch der beste Mutmacher. Und Mut konnte er gebrauchen.
Bei der verdutzten Stewardess, die bisher wohl nur wenige Priester bedient hatte, bestellte er einen doppelten Cognac. Kunen war im ersten Moment ein wenig enttäuscht von der Plastikflasche und dem Plastikbecher, aber als er die Flasche öffnete und der süßliche Geruch des Cognacs ihm entgegenströmte, bereute er seine Entscheidung nicht.
Er goss den Cognac in den Becher und schwenkte ihn so langsam, als handle es sich um ein richtiges Cognacglas. Kunen schloss die Augen und nippte an dem edlen Tropfen. Als der seine Lippen benetzte, gelang es ihm, den Plastikgeschmack des Bechers zu verdrängen. Der Vikar trank einen Schluck und atmete tief durch. Er hatte es geschafft, an den strengen Flughafenkontrollen vorbeizukommen. Fraglos mit Gottes Hilfe, aber er hatte es geschafft!
Zwar wusste er noch nicht, wie er die Kontrollen überstehen sollte, die noch auf ihn zukommen würden, aber etwas sagte ihm, dass ihm auch das gelingen würde. Oder war das schon die Wirkung des Alkohols, die ihn alles lockerer sehen ließ?
Simon Kunen dachte an den Bischof, an seinen Bischof. Wenn der mich jetzt sehen könnte, würde er vom Glauben abfallen. Der Vikar
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