Das letzte Sakrament
als Priester auf einer Flugreise nie wirklich außer Dienst.
Ein Geistlicher zog einen bestimmten Typ von Reisenden magisch an: den des redseligen Passagiers mit Flugangst. Hatte so jemand einen Mann des Glaubens erst einmal entdeckt, wich er ihm nicht mehr von der Seite. Heute würde er damit zurechtkommen müssen. Doch das war sein geringstes Problem.
Simon Kunen klappte den Aktenkoffer wieder zu, drückte die Messingschnallen nach unten und nahm den goldfarbenen Schlüssel in die Hand. Er merkte, wie er zitterte. Er war so nervös wie am Tag seiner Priesterweihe.
Er führte den Schlüssel nacheinander in beide Schlösser und drehte ihn herum. Eigentlich waren es nur symbolische Schlösser, denn der Koffer war leicht aufzubrechen. Dennoch waren die Schlösser für Kunen immer ein Schutz gewesen, auch ein Schutz vor sich selbst. Vor mehr als zehn Jahren hatte er den Koffer konfisziert und ihn seitdem nicht mehr geöffnet. Aber er hatte sich auch nicht entschließen können, den Koffer wegzugeben, so als habe etwas in ihm die ganze Zeit gewusst, das der Tag kommen würde. Der Tag, an dem der Inhalt seiner wahren Bestimmung gerecht werden würde. Der Tag der Entscheidung! Zehn Jahre hatte er darauf gewartet. Es war eine lange Zeit gewesen. Für einen Menschen, nicht für Gott.
Kunen steckte den Koffer in seinen schwarzen Trolley, nahm einen fertig gepackten größeren Koffer, brachte beides hinaus auf den Flur und schloss sein Zimmer ab. Dann verließ er die Bistumsverwaltung und stieg in das wartende Taxi.
Am Basler Flughafen angekommen, ging er zum Swiss -Schalter und gab den großen Koffer auf. Mit einem Gefühl der Genugtuung registrierte er, dass seine drei Kilo Übergepäck nicht berechnet wurden, im Gegensatz zu der Familie vor ihm. Er nahm sein Bordticket und seinen Trolley und machte sich auf den Weg zur Sicherheitskontrolle.
Er stellte sich ans Ende einer langen Schlange und wartete. Die Reisenden vor ihm unterhielten sich über den Fluglotsenstreik in Rom. Kunen war froh, dass er dieses Mal nicht in die Ewige Stadt flog.
Endlich kam er an die Reihe. Er zögerte kurz, bemerkte, dass sein Herz viel zu schnell klopfte und ihm Schweiß auf die Stirn trat. Dann riss er sich zusammen und legte seinen Trolley auf das Laufband mit den Durchleuchtungsgeräten. Er nahm Armbanduhr und Mobiltelefon, legte beides in ein offenes graues Plastikkästchen und schob es auf das Laufband. Danach ging er zu dem Metalldetektor und breitete seine Arme aus. Kein Piepsen. Er durfte weitergehen.
Aber das beruhigte ihn nicht, denn er hatte es nicht anders erwartet. Er drehte sich um und wartete auf seinen Trolley. Jetzt wurde es ernst. Da! Der Koffer kam aus dem Durchleuchtungstunnel. Er wollte schon danach greifen, als der Mann am Überwachungsmonitor seinem Kollegen am Band ein Zeichen gab.
»Wem gehört der schwarze Trolley?«, fragte der Mann.
Kunen erschrak und hob unsicher den Finger. »Er gehört mir … Ist etwas damit?«
»Er muss noch einmal durch die Kontrolle«, antwortete der Mann. Als er erkannte, das Kunen ein Priester war, lächelte er freundlich.
Mit einem Taschentuch wischte Kunen sich den Schweiß von der Stirn. Er beobachtete, wie der Mann vom Sicherheitsdienst seinen Trolley nahm, ein paar Meter zurücktrug und vor dem Durchleuchtungstunnel wieder auf das Band setzte.
Der Mann am Monitor schüttelte erneut den Kopf und gab seinem Kollegen am Band ein Zeichen.
»Was ist da drin?«, fragte dieser, jetzt schon nicht mehr so freundlich lächelnd.
»Ich … ich verstehe nicht …«, stammelte Kunen. Er fragte sich, warum er sich keinen Plan B ausgedacht hatte. War er von seinem Gottvertrauen geblendet und hatte die Vernunft ausgeschaltet? Gott passt nur auf jene auf, die auf sich selbst acht geben , hatte er immer gepredigt. Und jetzt hatte er sich selbst nicht daran gehalten!
»Es tut mir leid«, sagte der Sicherheitsbeamte. Er fuhr mit der Hand über seine blaue Krawatte, als wolle er unterstreichen, dass alles seine Ordnung haben müsse. »Wir müssen diesen Koffer öffnen. Sie haben doch nichts dagegen?«
»Nein, nein«, sagte Kunen schnell. »Ich verstehe nur nicht …«
»Das wird sich bestimmt gleich aufklären«, sagte der Mann und lächelte wieder. Aber sein Lächeln sah nicht echt aus.
Ich hoffe nicht, dass sich das gleich aufklärt , dachte Kunen . Gespannt beobachtete er, wie der Mann den Reißverschluss öffnete und den Deckel des Trolleys aufklappte. Ein Fach mit Kleidern kam zum
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