Das letzte Sakrament
gewöhnt, aber als er aus dem Schacht kletterte, konnte er schon mehr als nur die Umrisse des Raumes erkennen. Der Mann lag auf dem Betonboden und rührte sich nicht. Pandera ließ sich vorsichtig hinunter und beugte sich über ihn.
Der Mann war bewusstlos. Pandera spähte durch die angelehnte Tür seines Gefängnisses. Er sah einen halbdunklen Gang, der in eine noch oben führende Betontreppe mündete. Niemand war zu sehen oder zu hören. Pandera nahm die Schlüssel des Wärters an sich, untersuchte den Mann nach Waffen, konnte jedoch bis auf einen Gummiknüppel nichts finden.
Dann erst entdeckte er das Sandwich und die Flasche Wasser. Beides musste der Wärter mitgebracht haben. Er griff zur Flasche und wollte schon trinken, als ihm auffiel, dass sie schon einmal geöffnet worden war. War das eine Falle? Was, wenn sie ein Beruhigungsmittel beigemischt hatten, um ihn von hier wegzubringen? Oder um ihn zu töten?
Er stellte die Flasche wieder auf den Tisch. Seine Kehle brannte, doch er wollte kein Risiko eingehen. Sollte der Wärter doch das Wasser trinken, wenn er wieder aufgewacht war.
Pandera betrachtete den Mann. Die Größe passte ungefähr, aber mit seinem Bierbauch wirkte der Kerl ein wenig unförmig. Pandera zog ihm Jacke und Hose aus, dann entkleidete er sich selbst und zog die Sachen des Wärters an. Die Hose passte einigermaßen, er musste nur den Gürtel enger schnallen. Dann schlüpfte er in die schwarze Bomberjacke, schob den Gummiknüppel in die Innentasche und schloss den Reißverschluss.
Als Letztes setzte er die schwarze Baseballkappe auf. Er hasste die Dinger, aber anders ging es nicht. Vorsichtig schlich er sich hinaus und sperrte die Gefängnistür hinter sich zu.
Pandera spürte so viel Adrenalin im Körper, dass er die Schmerzen in seinen Muskeln kaum mehr wahrnahm. Nach wenigen Metern erreichte er die Betontreppe, stieg ein paar Stufen hoch und schaute um die Ecke. Vor ihm erstreckte sich ein Treppenaufgang aus Beton. Hinter jeder Ecke konnte sich ein Gegner verbergen. Oder eine Tür in die Freiheit.
Er nahm den Gummiknüppel in die Hand und schlich Stufe für Stufe nach oben. Nach wenigen Metern traf er auf eine zweite Stahltür. Auf seiner Seite war keine Klinke, nur ein Sicherheitsschloss und ein runder Metallknauf. Er nahm den Schlüsselbund des Wärters heraus. Drei Schlüssel. Einer schien zu groß. Pandera versuchte den zweiten und führte ihn langsam in das Schloss. Schon nach wenigen Zentimetern blockierte er. Pandera zog den Schlüssel wieder heraus und horchte auf. Hinter der Tür bewegte sich etwas. Er wartete, dann nahm er den dritten Schlüssel, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn vorsichtig herum. Die Tür sprang einen Spaltbreit auf, doch nicht so weit, dass er etwas sehen konnte.
»Bender ist immer noch zu doof, um den richtigen Schlüssel zu nehmen«, hörte er einen Mann sagen, zu seiner Verwunderung auf Deutsch, nicht auf Italienisch. Genau wie der fluchende Wärter in seiner Zelle. Was waren das für Typen? Ein anderer Mann lachte. Sie waren also zu zweit. Mindestens. Pandera schob den linken Fuß vor an die Tür, um sie mit einem Ruck aufstoßen zu können, und griff den Gummiknüppel noch fester. Dann atmete er tief durch.
Jetzt oder nie , dachte er und stieß die Tür auf.
Was er sah, hätte ihn eigentlich erschrecken müssen. Doch dazu blieb ihm keine Zeit. Er musste handeln. Sofort!
54
Generalvikar Simon Kunen schloss die Tür zu seinem Büro ab und nahm den alten Aktenkoffer aus dem Wandschrank. Das braune Rindsleder hatte im Laufe der Jahre einige Kratzer abbekommen. Doch es kam auf den Inhalt an, nicht auf die Verpackung.
Er ließ die Messingverschlüsse des Koffers aufschnappen, öffnete ihn und sah hinein. In seinen Augen funkelte der Glanz der Macht. Es war keine kirchliche Macht und schon gar keine göttliche. Trotzdem war der Vikar davon überzeugt, dass Gott ihn beschützen würde. Er war ein Würdenträger der Kirche, und wie ein solcher würde er auftreten. Er hatte sein bestes Priestergewand angelegt, nicht zu pompös und doch seiner herausgehobenen kirchlichen Position angemessen.
Normalerweise vermied Kunen es, in diesem Gewand zu verreisen, ja, er vermied es grundsätzlich, sich auf Reisen wie ein Priester zu kleiden, obwohl er die Sonderbehandlung durchaus zu schätzen wusste, die man in christlichen Ländern durch diese Uniform erfuhr. Aber gleichzeitig wuchsen dadurch auch die Verpflichtungen. Genau wie ein Arzt oder Pilot war man
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