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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pohl Clarke
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eine hübsch verzierte Schachtel mit Buntstiften in allen Farben ausfüllte, die dann später in dem kleinen Geschenkartikelladen der Werkstatt verkauft werden sollte.
    Wenigstens litt der Junge nicht mehr an diesen Weinkrämpfen. Aber Ranjit und Myra wurden weiterhin von Sorgen gequält; das Unfassbare an dieser Situation und die Angst, ihre Tochter für immer verloren zu haben, machten ihnen schwer zu schaffen. Dauernd gingen bei ihnen Anrufe ein. Es meldeten sich sämtliche Freunde und Bekannte, aber auch eine unglaublich große Zahl von völlig fremden Leuten wollte mit ihnen sprechen. Manche dieser Anrufer wurden geradezu lästig. Ronaldinho Olsos zum Beispiel bat sie um Verzeihung, falls sie ihn in irgendeiner Weise für das Unglück verantwortlich machten. T. Orion Bledsoe aus Pasadena rief an, vorgeblich, um sein Mitgefühl zu äußern, aber im Grunde lag ihm etwas ganz anderes am Herzen. Nachdem er ein paar oberflächliche Floskeln des Bedauerns heruntergehaspelt hatte, löcherte er Ranjit mit teilweise unverschämten Fragen. Penetrant hackte er darauf herum, ob Ranjit vielleicht einen Verdacht hatte - irgendeine, wenn auch noch so abwegige Ahnung, die er sich womöglich scheute, offiziellen Stellen mitzuteilen -, was mit seiner Tochter passiert sein könnte.
    Und dann kamen die Reporter angetrabt.
    Ranjit hatte geglaubt, dass man ihm schlichtweg das Recht auf eine Privatsphäre verweigerte, nachdem sein Beweis von Fermats Letztem Satz im Magazin Nature erschienen war. Dass es möglich war, einem Menschen noch viel penetranter auf den Pelz zu rücken, erlebte er jetzt. Zwar hatte der gewählte Präsident Bandara für das Haus der Subramanians Polizeischutz angeordnet, um der Familie unerwünschte Besucher zu ersparen, aber die Befugnisse der Ordnungshüter gingen nicht über die Bewachung des Privatanwesens hinaus. Und die Subramanians
bunkerten sich ja nicht ein. Sobald Ranjit sich auf sein Fahrrad schwang, war er eine Art Freiwild. Deshalb fuhr er nur zur Universität, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. Eines Abends, nach dem Essen, widmete sich Myra via Computer ihren Fachjournalen über Künstliche Intelligenz, Robert hockte zu ihren Füßen auf dem Boden und spielte mit Murmeln, während Ranjit sich in ein anderes Zimmer zurückzog, um sein nächstes Seminar zu planen.
    Und da passierte es.
    Myra blickte vom Bildschirm hoch und runzelte verdutzt die Stirn. Sie hatte etwas gehört - es klang wie ein ferner, elektronischer Pfeifton -, und im selben Moment war hinter der geschlossenen Tür ein goldener Lichtschein aufgeblitzt; aus dem Augenwinkel hatte sie durch die Ritzen zwischen Rahmen und Fassung die Helligkeit wahrgenommen.
    Als Nächstes hörte sie den halb erschrockenen, halb freudigen Aufschrei ihres Mannes: »Mein Gott! Tashy, bist du das wirklich?«
    Danach hätten keine zehn Pferde Myra de Soyza Subramanian zurückhalten können. Sie sprang hoch, sauste durch den Raum und riss die Tür zu dem Zimmer auf, in dem Ranjit saß. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, fiel ihr die Kinnlade herunter. Ihr Mann starrte auf jemand, der am Fenster stand. Es war eine junge, nur mit Unterwäsche bekleidete Frau.
    In diesen Sachen hatte Myra ihre Tochter oft genug im Haus herumspazieren sehen, wenn keine Fremden da waren. Wie ein Echo wiederholte sie den Ausruf ihres Mannes: »Tashy, bist du das wirklich?« Dann handelte sie, wie jede Mutter in dieser Situation gehandelt hätte; sie rannte zu ihrer Tochter und wollte sie in die Arme schließen.
    Aber das ging nicht.
    Einen Meter vor der Gestalt des Mädchens wurde Myras Lauf durch irgendetwas verlangsamt, und zwölf Zentimeter weiter wurde sie völlig gestoppt. Sie hatte nicht das Gefühl, als sei sie gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Was sie aufhielt,
hatte überhaupt nichts Stoffliches an sich. Am ehesten konnte man dieses Hindernis mit einer warmen, kräftigen Brise vergleichen, die so stark war, dass man sich nicht dagegenstemmen konnte.
    Was immer es auch sein mochte, Myra musste stehenbleiben, eine Armeslänge von der Gestalt entfernt, die aussah wie das Kind, das sie geboren, großgezogen und geliebt hatte.
    Aber dieses Mädchen sah sie jetzt nicht einmal an. Der Blick war auf Ranjit geheftet. Und dann fing die Gestalt an zu sprechen. »Es wäre müßig, Ihnen zu erklären, wer ich bin, Dr. Subramanian. Wichtig ist, dass ich Ihnen viele Fragen stellen muss, und auf jede einzelne müssen Sie antworten.«
    Ohne Ranjits Reaktion abzuwarten, ohne

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