Das letzte Theorem
denn ohne diesen Schutz wäre sie auf der Stelle erblindet. Und dann entdeckte sie genau das, womit sie gerechnet hatte. Es sah aus, als glitte ein gigantischer rautenförmiger Drachen über das Antlitz der Sonne.
Natürlich erkannte sie die Form. Dreißig Kilometer hinter der Diana versuchte die südamerikanische Santa Maria für Natasha eine Sonnenfinsternis zu erzeugen.
»Ha, Senhor Ronaldinho Olsos«, flüsterte Natasha, »das ist ein uralter Trick!«
Dieses Manöver war tatsächlich nicht neu, und es war völlig legal. Früher, als Regatten noch auf den Meeren ausgetragen wurden, bemühten sich die Skipper nach Kräften, ihren Rivalen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Aber mit dieser List hatte man nur Erfolg, wenn das gegnerische Schiff von einem ungeschickten Segler gesteuert wurde, und ungeschickt war Natasha de Soyza Subramanian nicht. Ihr winziger Computer - er war nicht größer als eine Streichholzschachtel, leistete aber so viel wie tausend Rechenexperten - befasste sich ein paar Sekunden lang mit dem Problem und schlug dann die erforderlichen Kurskorrekturen vor.
Dieses Spiel konnte man auch zu zweit spielen. Schmunzelnd schaltete Natasha den Autopilot ab und justierte von Hand die Trimmlage des Riggs, um die Segelstellung zu verändern …
Nichts tat sich.
Die kleinen Winden reagierten nicht. Auf einmal erhielten sie gar keine Steuerbefehle mehr, weder von dem Autopilot-Computer noch von dem menschlichen Wesen, das alles hätte kontrollieren sollen.
Der Sonnensegler Diana machte keine Fahrt mehr. Das riesige Segel begann zu kippen …
Und dann verbog es sich …
Die gleichförmigen Rippel, die durch das Segel gelaufen waren, schwollen an zu mächtigen, unregelmäßigen Wogen. Das dünne Material erreichte den Punkt seiner maximalen Belastbarkeit, überschritt ihn - und riss.
Der Kommodore sah sofort, dass die Diana in Schwierigkeiten geriet. Die ganze Flotte erkannte die Notsituation, und keiner kümmerte sich mehr um die angeordnete Funkstille. Ron Olsos forderte als Erster einen Tender mit chemischem Antrieb an, der ihn von seinem Schiff holten sollte, damit er helfen konnte, Natasha Subramanian in dem kollabierten Wrack, in das sich der Solarsegler Diana verwandelt hatte, zu suchen.
Er war nicht der Einzige, der sich spontan als Helfer zur Verfügung stellte. Binnen einer Stunde hatte sich die Formation der Regatta aufgelöst, mehr als zwanzig Schiffe aller Art kreisten um die verschrumpelte Masse, die einmal die schnittige Diana gewesen war, und mussten höllisch aufpassen, dass sie nicht miteinander kollidierten. Die Schiffe, die mit einer Technik ausgerüstet waren, die einen Ausstieg ins All ermöglichte, steckten jedes verfügbare Crewmitglied in einen Raumanzug und schickten Rettungstrupps los.
Sie durchsuchten jede einzelne Falte des gigantischen zerknautschten Segels - visuell, wenn es sein musste, und mit Infrarotgeräten, falls diese vorhanden waren. Diese Scanner würden das geringste Zeichen eines warmen menschlichen Körpers aufspüren, ganz gleich, an welcher Stelle in diesem zerfetzten Segel er sich befand.
Man suchte auch den Weltraum in der Umgebung des zerstörten Riggs der Diana ab, nur für den Fall, dass Natasha durch irgendeinen Unfall aus der Kapsel geschleudert worden war …
Und am gründlichsten scannte man die enge Kabine der Diana.
Lange brauchte man nicht dazu. Sie war nur für eine einzige Person konstruiert, also hatte man keine Rücksicht auf Privatsphäre nehmen müssen; die Kapsel der Diana war nur wenige Kubikmeter groß, und nirgendwo gab es eine Möglichkeit, sich zu verstecken.
Aber Natasha war nicht da. Die mit unglaublicher Akribie durchgeführte Suche endete ohne Ergebnis. Natasha Subramanian war nirgendwo zu finden.
38
Die Suche nach Natasha Subramanian
Die drei auf der Erde verbliebenen Mitglieder der Familie Subramanian hatten beschlossen, ihr normales Leben so gut es ging weiterzuführen, während das vierte Familienmitglied sich in einem neumodischen Ding aus Kunststoff und Fulleren-Kabeln im Weltraum herumtrieb. Und nachdem sie Natasha eine letzte Nachricht geschickt und ihr viel Erfolg gewünscht hatten, schwang Ranjit sich auf sein Fahrrad und radelte zu seinem Büro.
Myra glaubte, die Gelegenheit sei günstig, sich endlich wieder ihrem immer größer werdenden Stapel an Fachzeitschriften über KI und Prothesen zu widmen und wenigstens ein bisschen Lektüre aufzuholen. Sie brannte darauf zu erfahren, was sich an Neuerungen
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