Das letzte Theorem
Colombo geflissentlich gemieden hatte.
(Gaminis Familie wohnte nämlich gleichfalls in diesem Viertel.) Zum anderen erschien ihm das Domizil der Vorhulsts für eine einzige Familie viel zu groß; es war umgeben von Veranden mit völlig überflüssigen Säulen und lag in einem akribisch gepflegten Garten.
Ranjit holte tief Luft, ehe er das Tor öffnete und die kleine Treppe zur Veranda hinaufstieg. Das Erste, was ihm auffiel, als er durch die Tür trat, war die kühle Brise, die die Deckenventilatoren ihm zufächelten. In der drückenden Hitze, die über Colombo lastete, war das eine willkommene Erfrischung. Und seine Stimmung hob sich sogar noch mehr, als er Joris Vorhulst erblickte, der neben einer Frau stand, die beinahe genauso übergroß wirkte wie das Anwesen, in dem die Familie lebte. Der Professor empfing Ranjit mit einem Augenzwinkern und einem Nicken. »Ranjit«, sagte er und bugsierte ihn zu der Frau hin, »wir freuen uns, dass Sie gekommen sind. Ich möchte Sie mit Mevrouw Beatrix Vorhulst bekanntmachen, meiner Mutter.«
Unsicher, wie er eine Frau - obendrein eine sehr hellhäutige, die ihn um mindestens drei bis vier Zentimeter überragte und wesentlich stabiler gebaut war als er - begrüßen sollte, machte Ranjit probeweise eine kleine Verbeugung. Doch von solchen Förmlichkeiten wollte Mevrouw Vorhulst nichts wissen. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest. »Mein lieber Ranjit, ich bin ja so glücklich, Sie endlich kennenzulernen. Mein Sohn hat in seinen Kursen keine Lieblinge, aber wenn er irgendwelche Studenten favorisieren würde - und verraten Sie ihm bloß nicht, dass ich das gesagt habe -, dann gehören Sie ganz bestimmt dazu. Im Übrigen hatte ich das Vergnügen, die Bekanntschaft Ihres Vaters zu machen. Ein wunderbarer Mann. Wir wirkten zusammen in einer der Waffenstillstandskommissionen mit, zu einer Zeit, als wir noch derlei Gremien brauchten.«
Ranjit warf einen fragenden Blick auf Dr. Vorhulst, in der Hoffnung, er könne ihm einen Tipp geben, wie er sich dieser
gut aussehenden, parfümierten Naturgewalt gegenüber verhalten sollte. Doch von dieser Seite war keine Unterstützung zu erwarten. Der Professor scherzte bereits mit drei oder vier Neuankömmlingen, doch Mevrouw Vorhulst, der keineswegs entging, in welchem Dilemma sich Ranjit befand, half ihm über seine Verlegenheit hinweg. »Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit einer alten Witwe wie mir«, erklärte sie freundlich. »Unter den Gästen sind ein paar hübsche junge Mädchen, und es gibt jede Menge köstlicher Sachen zu essen und zu trinken. Wenn Sie mögen, können Sie sich auch an diesen grässlichen amerikanischen Sportdrinks delektieren, nach denen Joris süchtig ist, seit er in Kalifornien war, aber ich selbst würde sie nicht empfehlen.« Sie tätschelte noch einmal seine Hand, ehe sie sie losließ. »Und wenn Joris aus New York zurückkommt, müssen Sie uns unbedingt wieder besuchen, am besten zum Abendessen. Mein Sohn wird ziemlich deprimiert sein, das ist er immer, nachdem er wieder einmal versucht hat, die UNO zum Bau des Artsutanov-Lifts zu bewegen. Aber vielleicht sollte man von diesen Leuten nicht zu viel verlangen«, fügte sie hinzu, während sie sich bereits den nächsten Gästen zuwandte. »Die Menschen haben einfach noch nicht gelernt, nett miteinander umzugehen.«
Als Ranjit den weitläufigen Salon des Hauses betrat, bemerkte er, dass tatsächlich einige sehr attraktive Mädchen anwesend waren, obwohl die meisten bereits von einem oder mehreren jungen Burschen mit Beschlag belegt wurden. Drei oder vier Kommilitonen nickten ihm zu, als sie ihn erkannten, und er erwiderte den Gruß, doch in diesem Moment interessierte er sich in erster Linie für das Haus selbst. Es war so ganz anders als das bescheidene Heim seines Vaters in Trincomalee. Der Fußboden bestand aus poliertem weißem Zement, und die Wände waren durchbrochen von offenen Türen, die nach draußen in den riesigen Garten voller Palmen, Frangipani und einem verlockenden Swimmingpool führten.
Vorsorglich hatte Ranjit schon zu Mittag gegessen, deshalb vermochte ihn die verschwenderische Fülle an Leckereien, die die Vorhulsts bereitgestellt hatten, kaum zu reizen. Die amerikanischen Sportdrinks, vor denen Mevrouw Vorhulst ihn gewarnt hatte, verschmähte er mit einem Schaudern, dafür griff er umso lieber nach einer altmodischen guten Coca-Cola. Als er nach einem Flaschenöffner suchte, tauchte wie aus dem Nichts ein Diener auf, nahm ihm die
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