Das letzte Theorem
gesehen, wie die Mutter in einer riesigen Zinkwanne fleißig Wäsche wusch, während die Kinder greinend um ihre
Füße herumwieselten und sich selbst und noch mehr Kleidung schmutzig machten.
Nachdem Ranjit den Hörer aufgelegt hatte und sich zum Zubettgehen rüstete, war er mit sich und der Welt im Reinen. Alles lief gut. Mit seinem Vater hatte er sich versöhnt, und bald würde er Gamini wiedersehen, zumindest für eine kurze Zeit. Das Geheimnis um die Identität dieses Kirthis Kanakaratnam war gelüftet, und damit war die Angelegenheit für ihn erledigt. Er rechnete nicht damit, sich irgendwann noch einmal mit diesem Mann befassen zu müssen.
Der Statistikkurs war nicht ganz so langweilig, wie Ranjit befürchtet hatte. Viel Spaß machte er allerdings auch nicht. Schon lange vor Beginn des Unterrichts kannte er die Unterschiede zwischen Mittelwert, Medianwert und Modus, wusste, was eine Standardabweichung war, lernte im Nu, jedes Histogramm zu zeichnen, das seine Professorin verlangte. Zu seiner großen Überraschung hatte die Dame einen ausgeprägten Sinn für Humor, und wenn sie den Kursteilnehmern nicht gerade beibrachte, was ein Baumdiagramm oder irgendwelche anderen statistischen Diagramme waren, konnte sie fast so unterhaltsam sein wie Joris Vorhulst - aber halt nur fast.
Doch dann änderte Ranjit seine Meinung; sie ungefähr auf eine Stufe mit Vorhulst stellen zu wollen, ging ihm dann doch zu weit. Die Professorin war nicht übel, aber der Unterrichtsstoff, den sie vermittelte, reichte natürlich nicht an die Inhalte des Astronomiekurses 101 heran; vor allen Dingen, wo nun die eventuelle Konstruktion eines Orbitallifts ausgerechnet in Sri Lanka in aller Munde war.
Aber der Artsutanov-Lift war nicht das einzige Gesprächsthema, das Colombo in Atem hielt. Wie wäre es (fragte ein Student einmal während des Astronomiekurses), wenn man zum Beispiel eine Lofstrom-Schleife baute? Dazu brauchte man nicht zuerst einen gigantischen Satelliten in den Orbit zu
bringen, denn die gesamte Konstruktion befand sich auf der Erdoberfläche, von wo aus man Raumkapseln in eine Erdumlaufbahn schleuderte.
Doch Dr. Vorhulst setzte der Begeisterung der jungen Leute erst einmal einen Dämpfer aus. »Die Reibung«, hielt er entgegen. »Sie dürfen den Reibungswiderstand nicht vergessen. Denken Sie daran, wie sich die beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre entstehende Hitze auf die ersten Raumfahrzeuge auswirkte. Wenn man eine Lofstrom-Schleife benutzt, muss man die Kapsel, die in den Orbit katapultiert werden soll, auf sieben Meilen pro Sekunde beschleunigen, damit die Fluchtgeschwindigkeit erreicht wird, über die wir letztens gesprochen haben. Wenn man die Kapsel dann lossausen lässt, würde die Reibungshitze sie glatt verbrennen.«
Er schaltete eine Pause ein und ließ den Blick über die Kursteilnehmer schweifen; sein Gesichtsausdruck war so freundlich wie immer, aber in den Augen blitzte ein Funke, der Ranjit verriet, dass er noch eine Überraschung bereithielt. »Nun«, fuhr der Professor aufgeräumt fort, »hat einer von euch angehenden Astronauten vielleicht ausgetüftelt, welche Art von Raketenantrieb euer Schiff haben soll?«
Außer dem üblichen Antrieb aus Treibstoff plus Oxydationsmittel war Ranjit nichts eingefallen. Er hielt sich jedoch zurück, denn allein die Tatsache, dass Dr. Vorhulst die Frage gestellt hatte, verriet ihm, dass ihm etwas anderes vorschwebte.
Seinem Sitznachbarn war dieser Gedanke gleichfalls gekommen, nur reagierte er anders als Ranjit. Seine Hand schoss in die Höhe. »Sie reden nicht von chemischen Triebwerken, nicht wahr, Dr. Vorhulst? Woran denken Sie? Etwa an ein atomgetriebenes Raumschiff?«
»Gut geraten«, erwiderte der Professor, »aber trotzdem falsch. Nuklearthermische Triebwerke halte ich nicht für ideal, jedenfalls nicht unter Verwendung der Kerntechnik, die Sie meinen. Tatsächlich gibt es Pläne für Raketentriebwerke, die auf dem Prinzip von nacheinander explodierenden Atombomben beruhen.
Wenn Sie möchten, können wir ein anderes Mal darüber diskutieren. Aber um aus einem erdnahen Orbit zum Mars zu gelangen, bieten sich meiner Meinung nach zwei bessere Möglichkeiten an. Beide Antriebe benötigen eine Art Raumlift, der das Schiff zuerst in den LEO transportiert, denn sie sind nicht schubstark genug, um ein Raumfahrzeug von der Erdoberfläche starten zu lassen. Zum einen spreche ich von Sonnensegeln, zum anderen von der elektrischen Rakete.«
Zehn
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