Das letzte Theorem
bestimmte Informationen zu gelangen, wusste man nicht.
Die Staaten, die der Folter abgeschworen hatten, steckten nun arg in der Klemme. Sie hatten Gefangene, die über bedeutsames Wissen verfügten, jedoch in keinem Verhör zum Sprechen zu bewegen waren. Was tun? Nun, diese Großmächte
fanden einen Weg, ihr Dilemma zu lösen und heckten einen Plan aus. Gefangene dieser Sorte wurden den Nachrichtendiensten irgendeines Landes überstellt, das niemals versprochen hatte, darauf zu verzichten, Menschen durch Zufügen von Schmerzen zu Geständnissen zu bewegen. Die unter Folter abgerungenen Informationen gingen dann zurück an die USA oder eine andere Großmacht, die sie haben wollte.
»Und diese Methode nennt man ›außerordentliche Auslieferung‹«, schloss Gamini. »Das Überführen einer Person von einem Staat in den anderen ohne rechtliche Grundlage.«
»Huh«, sagte Ranjit nachdenklich. »Und das wird immer noch praktiziert?«
»In gewisser Weise schon. Nur dass die Supermächte nicht mehr mitmachen. Es hat in der Öffentlichkeit zu viel Staub aufgewirbelt. Im Übrigen haben sie solche Nacht-und-Nebel-Aktionen gar nicht mehr nötig. Es gibt genug Länder, die sich niemals gegen Folter ausgesprochen haben, und die verschleppen automatisch Leute, die sie für Kriminelle halten, um sie dann ›unter verschärften Bedingungen‹, wie es so euphemistisch heißt, zu verhören. Piraten zum Beispiel, denen sie ohnehin keine Menschenrechte zugestehen, und besonders solche Piraten, die ihre wahre Identität zu verschleiern suchen. Das hatten sie dir unterstellt, weil du offenbar deinen richtigen Namen nicht nennen wolltest.«
Er hielt kurz inne und fuhr dann stirnrunzelnd fort: »Die Informationen, die sie aus den Gefangenen herausziehen, verkaufen sie an Länder weiter, in denen Folter verboten ist. Und hier kommt der Beschluss der Mitglieder des Oberhauses ins Spiel. Die Lords stellten fest, dass durch Folter abgepresste Informationen aus moralischen Gründen niemals in einem gerichtlichen Verfahren zugelassen werden dürfen. Andererseits sei es vollkommen in Ordnung, fanden sie, solche Informationen zum Beispiel der Polizei zur Verfügung zu stellen.«
Gamini hielt kurz inne, als er sah, dass die beiden Flugbegleiterinnen sich ihnen näherten. »Ich glaube, jetzt müssen wir
uns wieder anschnallen, weil wir uns im Anflug auf Bandaranaike befinden. Eines sage ich dir noch. Du ahnst ja gar nicht, auf welche Deals wir uns einlassen mussten, und welche Versprechen man uns abgerungen hat, um dich freizukriegen. Hilf mir bitte, diese Versprechen einzuhalten. Was auch immer passieren mag, erzähle nie jemandem etwas, anhand dessen man die Leute, die dich verschleppten und folterten, identifizieren könnte. Andernfalls kriege ich mächtigen Ärger und mein Vater auch.«
»Ich gebe dir mein Wort, dass ich den Mund halten werde«, gelobte Ranjit, und er meinte es ernst. Dann fügte er verschmitzt hinzu: »Du sagst, du hast auch die Mädchen durchgecheckt? Wie geht es denn der guten alten Maggie?«
Gamini bedachte ihn mit einem schmerzerfüllten Blick. »Ach, der guten alten Maggie geht es blendend. Vor zwei Monaten hat sie einen US-Senator geheiratet. Hat mir sogar eine Einladung zum Empfang geschickt. Also ging ich zu Harrods und habe ein schönes Stück Fisch gekauft, um es ihr zu schicken. Ich selbst bin aber nicht hingegangen.«
17
Paradies
Als die BAB-2200 in rasantem Tempo auf einen Flugsteig zurollte, verkündete die Ärztin Jeannie ihr Urteil: Was Ranjit jetzt am dringendsten brauchte, waren Ruhe, gute Pflege und eine kalorienreiche Ernährung. Er musste ordentlich essen, um die rund zehn Kilo, die er seit seiner außerordentlichen Auslieferung abgenommen hatte, wieder aufzuholen. Doch sie fügte hinzu, dass er die nächsten Tage in einem Krankenhaus am besten aufgehoben wäre.
Davon wollte das Empfangskomitee, das ihn am Flugsteig abholte, jedoch nichts wissen und legte sofort ein Veto ein. Das Komitee bestand zwar nur aus einer einzigen Person, aber diese Person war Mevrouw Beatrix Vorhulst, und sie ließ sich nicht umstimmen. Mevrouw Vorhulst erklärte, eine Klinik sei nicht der richtige Ort für Ranjit, um sich zu erholen; dort bekäme er sicherlich jede Menge medizinischer Betreuung, aber ganz bestimmt keine liebevolle Fürsorge. Dazu ging es in derlei Einrichtungen viel zu unpersönlich zu. Der ideale Ort, um wieder zu Kräften zu kommen, sei eine behagliche, private Umgebung. Und die könne sie ihm in
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