Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Siedlung würde ihm gehören, so wie die Vorstadt in Hertfordshire seinem Vater gehört hatte.
Als er seinen Vater das erste Mal im Fernsehen gesehen hatte, hatte er das Ganze für ein Spiel gehalten. Er hatte gedacht, sein Dad würde mit der Kamera irgendetwas Schlaues anstellen, so wie damals, als er die Bilder von Devil mit Leona auf dem Fahrrad auf seinen Computer geladen hatte, damit sie sie anschauen konnten. Doch es war kein Spiel. Es war Realität. Sein Dad sprach zu Millionen von Menschen.
»Sie lieben mich«, hatte sein Dad voller Stolz erklärt und dabei gelächelt. »Sie lieben mich so sehr, dass sie mir ihr Geld schicken. Sogar aus Amerika und aus Afrika. Eines Tages gehen wir nach Amerika, mein Sohn. Sie werden mir aus der Hand fressen.«
Devil hatte damals einen anderen Namen. Aber damals war vieles anders.
»Devil? Na so was, du hier?«
Devil blieb abrupt stehen und verfluchte sich, weil er so in Gedanken versunken war, dass er nicht bemerkt hatte, wie sich die Bullen an ihn heranschlichen.
»Ja. Soviel ich weiß, leben wir hier in einem freien Land«, sagte er und sah dem Polizisten direkt in die Augen. Der hatte eine Polizeibeamtin bei sich. Ganz schön sexy, wenn man auf so was stand. Sie hatte dunkelbraune Haare; der Polizist war rothaarig.
»Wie ich gehört habe«, sagte die Frau, »steckst du hinter der Messerstecherei von letzter Woche. Hast du was dazu zu sagen?«
Devil zuckte die Schultern. »Ich stecke hinter keiner Messerstecherei. Das ist nicht mein Stil. Meine Gang ist ganz friedlich, Officer.«
Auf Devils Gesicht erschien ein breites, selbstbewusstes Grinsen. Sie hatten nichts gegen ihn in der Hand. Der Junge würde nichts sagen, nicht, wenn seine Familie ihm am Herzen lag.
»Friedlich, soso.« Der Polizist verengte die Augen zu Schlitzen. »Du bist ein kleiner Scheißkerl, weißt du das? Weißt du auch, dass die kleine Schwester deines Handlangers im Krankenhaus liegt? Das war die Rache für den Mord, zu dem du ihn angestiftet hast. Die Green Lanes Massive haben gedroht, dass sie sie beim nächsten Mal töten. Dieser Junge dachte, er stünde unter deinem Schutz. Aber dir ist das scheißegal, oder? Meinst du, dass er weiter dichthalten wird? Meinst du nicht, dass er es sich gut überlegen wird, ob er uns erzählen soll, was du von ihm verlangt hast? «
Devils Augen weiteten sich. Seine Schwester? Verdammt. Er hatte ja keine Ahnung. »Tja«, meinte er und verschränkte unbekümmert die Arme, »dann viel Glück, denn ich habe nichts damit zu tun.«
Devil wandte sich rasch um und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Er hatte ein ungutes Gefühl. Was war, wenn der Junge redete?
»Treib es nicht zu weit, Devil«, rief der Polizist hinter ihm her, aber Devil drehte sich nicht um. Er schob einfach die Hände in die Taschen und ging zurück zur Siedlung.
11
Die Näherei befand sich am nördlichen Ende der Siedlung und bestand aus zwei Räumen; in dem einen wurde die Kleidung sortiert und maschinell gefertigt, in dem anderen wurden kompliziertere Arbeiten gemacht. Evie arbeitete im zweiten Raum. Manchmal musste sie besondere Kleidungsstücke von Hand nähen, meistens aber war sie mit dem Ausbessern und Stopfen von bereits getragener Kleidung beschäftigt, die schon bessere Tage gesehen hatte. Da die meisten Sachen aus Wolle waren und neue Stoffe teuer in der Herstellung, wurden die alten Kleider wiederverwendet. Der Großteil ihrer Arbeit bestand darin, die Bauern einzukleiden, die rund um die Uhr ackerten, damit die Gemeinschaft immer etwas zu essen auf dem Tisch hatte. Nach den Lehrern wurden die Bauern in der Siedlung am meisten geachtet. Die meisten Männer zwischen sechzehn und vierzig bestellten die Felder und kümmerten sich um die Tiere, da die Nahrung, wie Benjamin erklärte, die Energie für alle anderen Tätigkeiten lieferte; ohne diese Energie war alles zum Scheitern verurteilt.
Im Gegensatz dazu bekam man die Bauern in der Stadt nur selten zu Gesicht, außer wenn sie ihre Waren zum Markt brachten. Ihre Arbeit wurde als selbstverständlich betrachtet und nie besonders hervorgehoben, und Landwirt galt nicht als besonders wichtiger Beruf. Erst nachdem Evie die Stadt verlassen hatte, verstand sie, warum: Die Stadt konnte sich nicht selbst versorgen, und Landwirtschaft war deshalb nichts Besonderes, weil es außerhalb der Stadtmauern stattfand – ein schmutziges kleines Geheimnis, das der Bruder gern für sich behielt.
Evie wurde immer noch wütend, wenn sie daran
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