Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Geschenke mitbrachten, wenn sie zu seinem Vater kamen. Wo er Leona immer zuhörte, wenn sie Klavier übte, und sie mit Grimassenschneiden abzulenken versuchte.
Aber Devil hatte gelernt, dass sich das Leben veränderte, dass man sich auf nichts verlassen konnte außer auf sich selbst.
Als er aus der Unterführung kam, traf ihn ein frühherbstlicher Sonnenstrahl, und er lächelte und genoss die Wärme auf der Haut. Es lief gut. Die Green Lanes Massive Gang hatte kapiert, was auf sie zukam. Der Junge hatte seinen Job gemacht. Das blöde Arschloch hatte sich zwar erwischen lassen, aber er war selber schuld. Anscheinend war er nach der Tat wie erstarrt gewesen und mit dem Messer in der Hand neben der Leiche stehen geblieben wie ein Idiot. Aber das war okay. Diejenigen, die es anging, wussten, dass Devil dahintersteckte. Die Polizei hatte den Jungen zwar verhaftet, brachte ihn aber nicht mit der Dalston-Bande in Verbindung. Deshalb war alles in bester Ordnung.
Natürlich würden die Green Lanes Massive zurückschlagen, aber darauf war Devil gefasst. Seine Jungs waren tougher, hungriger; sie würden weitergehen. Devil hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass es genau darum ging. Es war eine Art Mutprobe. Man musste bereit sein, weiterzugehen als die anderen. Man durfte keine Angst haben. Angst bedeutete Schwäche und machte einen angreifbar. Wer nicht angreifbar war, hatte Macht und war unbesiegbar.
Devil nahm den langen Weg durch das öde Buschland hinter der Siedlung. Früher war einmal geplant gewesen, das Land in ein Freizeitgelände für Kinder und Jugendliche zu verwandeln, mit einem großen Fußballplatz und einem Jugendklub; das Fundament war sogar schon ausgehoben worden. Aber an dem Tag, als das Holz für den Bau geliefert wurde, war alles abgefackelt worden, und kurz darauf wurden die Pläne aufgegeben.
Jetzt schlenderte Devil, die Hände in den Hosentaschen, die Straße hinunter Richtung Spielhalle. Normalerweise verließ er die Siedlung nicht allein, weil man zu mehreren sicherer war. Aber heute war er voller Selbstvertrauen. Außerdem wollte er nicht die ganze Zeit mit seinen Jungs herumhängen. Die redeten einen ziemlichen Scheiß, lachten über die blödesten Sachen und waren einfach nur langweilig. Infantil. Seit ein paar Wochen war das eines seiner Lieblingswörter. In-fan-til. Kindisch. Bei jeder Gelegenheit warf er den Leuten dieses Wort an den Kopf. Die Leute mochten es nicht, weil es ein langes Wort war, und das war ein Beweis dafür, wie dumm sie waren. Sie hätten etwas gegen ihre Dummheit tun können, indem sie sich eine Wörterbuch-App herunterluden, so wie er. Aber die dachten gar nicht daran. Sie waren zufrieden mit dem Leben in der Gosse. Sein Vater hatte recht gehabt: Die anderen bekamen, was sie verdienten. Sie hatten es sich selbst zuzuschreiben. Sie waren schon froh, dass sie überhaupt lebten.
Draußen vor dem Zeitschriftenladen stand ein Mädchen und hielt ein Fahrrad fest. Zögernd schaute sie in den Laden und dann wieder auf das Rad. Es war rosa. Und ganz neu. Billiger Mist, es würde bald auseinanderfallen, und die rosa Farbe würde abblättern. Aber jetzt sah es ganz okay aus. Das Mädchen trug einen passenden blassrosa Helm. Vorne an dem Rad war ein Korb befestigt. In der linken Hand hielt sie ein Fahrradschloss, und sie sah sich um, wo sie es am besten festmachen konnte.
Devil ging zu ihr hin. Er verspürte auf einmal den Drang, ihr das Rad wegzunehmen und ihr zu zeigen, dass er der Boss war und dass er alles in der Siedlung mitnehmen konnte, sogar ein Scheißkinderfahrrad.
»Du kannst das Rad bei mir lassen.«
Das Mädchen blickte mit großen Augen zu ihm auf. Die Kleine war sechs, zu jung, um zu wissen, dass man ihm nicht in die Augen sehen durfte, aber alt genug, um zu zögern. Er erinnerte sich an die Zeit, als sie noch ein Baby war. Ihre Mutter sah früher einmal gut aus. Aber heute nicht mehr. »Mum hat gesagt, ich soll es abschließen.«
»Deine Mum möchte eben, dass dein Rad sicher ist. Bei mir ist es sicher.« Er lächelte und bekam plötzlich ganz weiche Gesichtszüge. Das hatte er von seinem Vater gelernt. Erst weich, dann hart; erst hart, dann weich.
Das Mädchen war hin und her gerissen.
»Wenn du in den Laden gehen willst, musst du das Rad hierlassen. Ich passe darauf auf.«
Devil lächelte wieder. Zögernd ging sie zu dem Laden, drehte sich aber alle paar Sekunden um, um sich zu vergewissern, dass das Rad noch da war.
»Dein Helm«, sagte Devil. Das
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