Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Mädchen runzelte die Stirn. »Ich brauche deinen Helm.«
Das Mädchen wollte etwas sagen, aber dann sah sie Devils Gesichtsausdruck. Das Lächeln war verschwunden. Er saß auf dem Fahrrad, die Knie an die Brust gepresst. Die Kleine rührte sich nicht.
»Du gibst mir jetzt deinen Helm«, sagte Devil in bedrohlichem Ton. »Ich will mir dein Rad nur kurz ausleihen und für dich darauf aufpassen.«
Das Mädchen versuchte sich rückwärts durch die Ladentür zu schieben, aber Devil war mit einem Satz bei ihr, packte sie und riss ihr den Helm vom Kopf. Dann zog er sie zu ihrem Fahrrad, das auf dem Gehweg lag. Er packte das Mädchen im Nacken und drückte sie mit der Nase gegen das Rad. »Jetzt kannst du deiner Mama erzählen, dass Devil dein Rad hat. Sag ihr: Wenn sie will, dass du es wiederkriegst, muss sie mich fürs Aufpassen bezahlen. Hast du verstanden? Hörst du, was ich sage?«
Das Mädchen weinte. Einen Moment lang sah Devil die Kleine an. Unwillkürlich wollte er ihr die Tränen abwischen, wie er es bei Leona getan hatte, damals, als er sie in den Armen wiegte und ihr versicherte, dass es keine Monster gebe, dass er sie beschützen werde und dass er immer für sie da sei. Aber dieses Mädchen war nicht Leona. Und ihre Mutter, die Schlampe, hatte ihnen kein bisschen geholfen, als sie hierhergekommen waren; sie hatte für Leona nicht einmal ein Lächeln übriggehabt. Plötzlich stieß er das Mädchen grob auf das Pflaster vor lauter Wut und Hass. »Richte ihr aus, was ich dir gesagt habe.«
Devil radelte davon und drehte sich nicht um. Es war ihm egal, ob das Mädchen weinte oder nicht. Leona hatte kein Fahrrad. Leona hatte gar nichts. Welches Recht hatte dieses Mädchen? Das Rad war mit dem Geld bezahlt worden, das eigentlich der Dalston-Bande zustand. Zwanzig Prozent vom Einkommen, das war alles, was er von der Mutter der Kleinen verlangte. Nicht viel für die Sicherheit ihrer Familie. Aber er wusste, dass sie ihn bestahl, dass sie heimlich Kunden hatte. Er wusste, dass sie sich Geld ergaunerte, dass sie trickste, log und ihn hinterging. Und jetzt sollte sie erfahren, dass er Bescheid wusste.
Obwohl das Fahrrad viel zu klein für ihn war, fuhr er trotzdem damit. Es erinnerte ihn an sein BMX-Rad, als er noch klein war. Er hatte dieses Rad geliebt und war damit überallhin gefahren. Manchmal hatte Leona sich auf seine Knie gesetzt und er war mit ihr losgeradelt. Sie hatte gekichert, sich am Lenker festgekrallt und laut gekreischt, wenn er nur auf dem Hinterrad fuhr.
Devil stieg vom Rad, warf es angewidert hin und verbannte die Gedanken an seine kleine Schwester aus seinem Kopf. Leona war nicht mehr da. So war das nun mal. Die Dinge hatten sich geändert.
Er lief schnell, vorbei an der Spielhalle, vorbei an dem chaotischen Durcheinander von hohen und niedrigen Häusern in der Umgebung der Siedlung, mit Gärten voller Wäscheleinen und kaputten Autos und mit Wegen, die übersät waren mit zerbrochenen Flaschen und Zigarettenkippen. Kippen von billigen Zigaretten.
Devil rauchte Silk Cut, die Marke seines Vaters. Nur um anders zu sein. Mit mehr Stil. Man würde ihn nie mit einer dieser Billigmarken erwischen, die so scheiße schmeckten.
Endlich blieb er stehen und sah sich um. Ein paar Jungs sahen ihn vorsichtig an und liefen dann mit gesenktem Kopf davon. Er befand sich auf sicherem Terrain. Eine Meile weiter hätte er seine Gang gebraucht. Nur für den Fall. Aber hier würde niemand es wagen, sich mit ihm anzulegen. Keine andere Gang würde sein Revier betreten.
Devil ging weiter, vorbei an den Häusern, bog um die Ecke und grinste spöttisch, als er die Leute bei ihren alltäglichen Verrichtungen beobachtete: streiten, Wäsche waschen, die Kinder anschreien. Ein Scheißort zum Leben. In den Zeitungen wurde es als Problemviertel bezeichnet. Als würde irgendjemand hier Zeitung lesen. Man sah sich allenfalls mal die Fotos an oder starrte auf die Titten, aber sonst nichts. Ungefähr einen Monat nachdem Devil hierher gezogen war, hatte er begriffen, was diese Gegend zum Problemviertel machte. Es waren nicht die Wohnungen und die Häuser, obwohl die Wände so dünn waren, dass man drinnen den feuchten Fleck sah, wenn draußen jemand dagegenpinkelte. Nein, es waren die Leute hier – träge, dumme, ignorante Leute. Sein Dad hätte damit aufgeräumt, dachte er bei sich. Aber dann fiel ihm ein, dass sein Dad fort war und dass er nicht zurückkommen würde. Also beschloss er, stattdessen selbst aufzuräumen. Diese
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